Wer zahlt im Falle einer Scheidung? Und wie viel? - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Wer zahlt im Falle einer Scheidung? Und wie viel?

Lesedauer: 4 Minuten

Seit dem 1. Juli dieses Jahres ist der Zivilstand der Eltern für die
elterliche Sorge und die Unterhaltspflicht im Falle einer Trennung
unerheblich
– das verändert einiges. Ein Überblick. 

Elias ist 12 Jahre alt und hat Probleme in der Schule, so dass sich die Mutter täglich intensiv um Struktur und Hausaufgabenhilfe kümmert. Anna ist 15 Jahre alt und eine talentierte Reiterin. Sie beginnt demnächst eine Lehre als Tierpflegerin. Mara, 19 Jahre alt, wohnt seit Herbst in Zürich und studiert an der ETH Ingenieurswissenschaften. Die Familie lebt in Poschiavo GR.

Die Beziehung der Eltern kriselt seit längerer Zeit. Sie möchten sich trennen, machen sich aber Sorgen darüber, wie sie die Mietkosten für eine zweite Wohnung und das Geld für den Lebensunterhalt von Mara aufbringen können, sowie darüber, wer künftig die Hausaufgabenhilfe für Elias übernimmt, falls die Mutter ihr Arbeitspensum als Primarschullehrerin erhöhen müsste.

Ein Betreuungsunterhalt
verhindert eine Aufstockung
des Arbeitspensums.

Kinder kosten, keine Frage. Eltern wissen um die Kosten für den Lebensunterhalt, wie für Essen, Turnschuhe, Computer, Hobbys Schul- und Studiengelder. Zum Unterhalt eines Kindes zählt aber mehr als dieser Barbedarf (Barunterhalt), nämlich auch die Pflege und die Betreuung eines Kindes. Das Recht spricht neu von einem Betreuungsunterhalt, der im Falle einer Trennung geleistet werden muss.

Der Anspruch des Kindes auf Pflege und Betreuung soll mit der Leistung des Betreuungsunterhalts umgesetzt und gewährleistet werden, indem der betreuende Elternteil die Möglichkeit hat, weiterhin zu Hause präsent sein zu können und nicht sein Arbeitspensum aufstocken zu müssen. Doch lassen Sie mich vorne beginnen. Alle Eltern haben ihren Kindern
gegenüber eine umfassende Unterhaltspflicht. Das ist ihre Verantwortung und die Kehrseite ihres elterlichen Sorgerechts. Recht und Pflicht begründen sich mit dem rechtlichen Kindesverhältnis. Egal also, ob die Eltern von Elias, Anna und Mara verheiratet sind oder nicht, die Kinder haben kraft des Kindsverhältnisses einen Anspruch auf Unterhalt.

Das ist eine beachtliche Rechtsentwicklung: Der Zivilstand der Eltern ist für die gemeinsame elterliche Sorge (seit 1. 7. 2014) und die Unterhaltspflicht (nun seit 1. 1. 2017) unbedeutend geworden.

Individuelle Ansprüche

Elias, Anna und Mara haben je einen individuellen Anspruch auf Unterhalt, der sich nach ihren Bedürfnissen richtet. Für das eine Kind fallen etwa Studienkosten an, für das andere mehr Unterstützung bei den Hausaufgaben. Jede Geburt weiterer Kinder führt zu neuen Unterhaltspflichten, die den Unterhaltsanspruch früherer Kinder wohl etwas schmälern mögen, aber nicht aufheben. Eine Ausnahme besteht höchstens dann, wenn ein Kind seinen Lebensunterhalt selbständig bestreiten könnte.

Angenommen, Anna kann künftig auf einem grossen Hof ihre Lehre antreten, erhält dort neben Kost und Logis einen Lehrlingslohn und verdient sich mit zusätzlichem Reitunterricht, den sie erteilt, einiges dazu, könnte es theoretisch sein, dass sie selbständig für ihren Lebensunterhalt aufkommen kann. Auf jeden Fall müssten die Eltern ihre teuren Reitstunden nicht mehr bezahlen. Das Recht auf Kindesunterhalt kann unter Umständen auch über
die Volljährigkeit hinaus bestehen. Dann, wenn es sich beispielsweise um eine Erstausbildung handelt wie im Falle von Mara, die für die nächsten vier Jahre studieren und in Zürich leben wird.

Das Recht auf Kindesunterhalt
kann auch über die
Volljährigkeit hinaus bestehen.

Eine Trennung oder Scheidung sowie eine erneute Heirat der Eltern ändern im Grundsatz nichts an der Unterhaltspflicht gegenüber den drei Kindern. Faktisch ändert sich aber aufgrund eines getrennten Haushalts der Eltern deren Zusammenwirken in der Pflege, Erziehung und Betreuung der Kinder. 

Die persönlichen Betreuungsleistungen wie Pflege und Hausaufgabenhilfe werden bei einer Trennung praktisch aber oft alleine (und deshalb besonders intensiv) von jenem Elternteil erbracht, unter dessen Obhut die Kinder stehen. Der andere Elternteil kommt dann seinen
Unterhaltspflichten vor allem durch Geldleistungen nach. 

Damit die Mutter ihr Arbeitspensum nicht erhöhen muss, sondern Elias weiterhin persönlich unterstützen kann, bekommt Elias neu einen Betreuungsunterhalt vom Vater. Es kann aber auch sein, dass die Eltern sich nach einer Trennung oder Scheidung in der persönlichen Pflege und Betreuung abwechseln. Demnach würde eine «alternierende Obhut» bestehen und sich der Betreuungsunterhalt diesbezüglich reduzieren.

Wie hoch ist ein Betreuungsunterhalt?

Grundsätzlich orientiert sich das Gericht jedoch am während der Ehe oder in der Beziehung gelebten Betreuungsmodell. Eine Mutter, die immer in Teilzeit arbeitete und die Kinder intensiv betreute, wie im Fall von Elias, hat gute Chancen, dies auch nach einer Trennung tun zu dürfen, ohne ihr Arbeitspensum zu erhöhen. Der Gesetzgeber hat leider darauf verzichtet, genau festzulegen, wie sich ein Betreuungsunterhalt bemisst.

Er hat festgehalten, dass die Lebenshaltungskosten der betreuenden Person gedeckt sein sollen. Was sind Pflege und Betreuung wert? Wie viel die Unterstützung bei der Hausaufgabenhilfe oder das Küchengespräch beim Zvieri? Ist oder soll die Hausaufgabenhilfe eines Elternteils in Poschiavo anders bewertet werden als die in Zürich?

Unverheiratete Väter ohne
Betreuungsaufgaben
sind die Hauptbetroffenen
der neuen Regelung.

Es ist also noch offen, welches Gericht den Betreuungsunterhalt wie berechnen wird: mit genauen Tabellen, pauschalisierenden Prozentregeln (zum Beispiel 10 bis 15 Prozent des Nettoeinkommens der Eltern bei einem Kind, 30 bis 35 Prozent bei drei Kindern) oder nach Massgabe von Fremdbetreuungskosten? Doch auch da besteht eine Vielfalt an Optionen: nach Massgabe der Kinderkrippenkosten, der Pflegekinderkosten oder der durchschnittlichen Kosten einer Nanny?

In der Literatur werden derzeit laufend Ansätze vorgeschlagen und diskutiert. Das Zürcher Obergericht hat einen Leitfaden herausgegeben, der die «Lebenshaltungskosten», die durch den Betreuungsunterhalt zu decken wären, am betreibungsrechtlichen Minimum ausrichten will. Mit der Zeit wird es die Rechtsprechung des Bundesgerichts richten müssen und richten. Der nacheheliche Unterhalt besteht in Geldleistungen an die geschiedene Ehegattin beziehungsweise den geschiedenen Ehegatten, weil dieser/diese nach Beziehungsende in seiner/ihrer Kapazität zur Eigenversorgung eingeschränkt ist, aufgrund gemeinsam entschiedener Aufgabenteilung, der Dauer der Ehe, des Alters, der Berufsbildung und -entwicklung. 

Nachehelicher Unterhalt dient dem Schutz der Ehegatten nach der Ehe, der Kindesunterhalt dem Schutz des Kindes.

 Dazu gehört wesentlich, dass die Erwerbsfähigkeit wegen der Pflicht zur Kinderpflege und -betreuung massiv eingeschränkt war. Ein nachehelicher Unterhalt dient also dem Schutz der Ehegatten nach Auflösung der Ehe. Achtung: Diesen Schutz gibt es in nichtehelichen
Partnerschaften nicht.

Ziel des Kindesunterhalts ist dagegen der Schutz des Kindes. Im Fall des Betreuungsunterhalts ist das Kind berechtigt, im Fall des nachehelichen Unterhalts ist es der (ehemals) betreuende Elternteil. Das zeigt, dass beide Unterhaltsarten nicht vermischt und auch nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen. Die Frage, wann einem geschiedenen Elternteil die Erwerbstätigkeit zur Eigenversorgung zugemutet werden kann, ist eine Frage, die den nachehelichen Unterhalt betrifft, nicht den Betreuungsunterhalt.


Das Kindesunterhaltsrecht in Kürze

Das revidierte Kindesunterhaltsrecht (Art. 277 ff. ZGB), in Kraft seit 1.1.2017, ist der 2. Teil der Familienrechtsrevision zu gemeinsamer elterlicher Sorge und Verantwortung:

  • Das Kindesinteresse steht im Zentrum.
  • Der Kindesunterhalt steht dem Kind persönlich zu.
  • Der Kindesunterhalt ist unabhängig vom Zivilstand der Eltern.
  • Der Kindesunterhalt richtet sich nach dem Bedarf des Kindes; unter Umständen auch über die Volljährigkeit hinaus.
  • Der Betreuungsunterhalt wird als Teil des Kindesunterhaltes anerkannt.
  • Der Kindesunterhalt geht anderen familienrechtlichen Verpflichtungen vor.

Zur Autorin:

Sandra Hotz ist Juristin und Co-Leiterin des Projekts «Kinder fördern. Eine interdisziplinäre
Studie zum Umgang mit ADHS» am Institut für Familienforschung und -beratung der Universität Freiburg. Sie beschäftigt sich mit Kinderrecht und Fragen der Selbstbestimmung von Patienten.