Wenn Kinder nachts auf Wanderschaft gehen... - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Wenn Kinder nachts auf Wanderschaft gehen…

Lesedauer: 3 Minuten

Die Kinder gehen nachts auf Wanderschaft, tauschen die Betten aus und Sie kommen nicht zur Ruhe? Jesper Juul fordert in dieser Situation eine klare Botschaft von den Eltern.

Frage einer Mutter:

Ich  finde mich immer wie­der in Situationen, in denen es mir schwerfällt, herauszufinden, was für die Kinder gut ist und was nicht. Im Dschungel der vielen Ratgeber und der mehr oder weniger schlauen Bücher über Kinder fühle ich mich verloren. Sie helfen mir nicht.

Die beiden Kinder schlafen dann bei mir im Doppelbett, mein Mann schläft auf einer Matratze im Kinderzimmer. Oder er schläft zusam­men mit unserer gemeinsamen Tochter im Doppelbett und ich mit meinem Sohn auf der Matratze im Kinderzimmer. Die Kinder lieben diese Aufteilung. Mein Mann und ich nicht. Wir sind sogar ziemlich frustriert davon.

Wir wollen nicht, dass unser Sohn sich fürchtet, möchten aber nicht nachts ständig geweckt werden – was tun?

Da der Grössere früher Angst hatte, alleine zu schlafen, kam er immer zu uns ins Bett. Mit der Zeit wurde dies zu einem Platzproblem. Aus diesem Grund fanden wir die beschriebene Lösung. Nun wacht unsere Kleine in der Nacht aber immer wieder auf, und mein Sohn wird dadurch in seinem Schlaf gestört. Mittlerweile sind wir alle sehr müde.

Wir wollen nicht, dass unser Grosser sich fürchtet, aber auch nicht, dass wir ständig in der Nacht von einem Fünfährigen aufgeweckt werden. Ich habe einfach nicht mehr die Kraft für dieses Chaos.

Antwort von Jesper Juul:

Was für ein Durcheinander! Ich kann sehr gut verstehen, dass Sie und Ihr Mann frustriert sind. Sie müssen die unterschiedlichsten Bedürfnisse und Wünsche vieler Familienmit­glieder unter einen Hut bringen – auch Ihre eigenen.

So wie Sie die Entwicklung beschreiben, müssen Sie das Gefühl haben, dass Sie mit Ihren Bestrebun­gen gescheitert sind, vor allem nachts. Dabei sind Ihre Kinder auf sich selbst gestellt, weil es ihren Eltern nicht gelingt, die eigenen Bedürfnisse zu stillen, weil Sie sich mehr oder weniger für die Bedürfnisse Ihrer Kinder aufgeben.

Ihre Kinder haben offensichtlich unterschiedliche Schlafwünsche. Doch was sie brauchen, ist nicht die Erfüllung ihrer Wünsche, sondern eine klare Botschaft von Ihnen als Eltern. Jetzt braucht es sozusagen die elterliche Führung. Konzentrieren Sie sich dabei auf Ihr Wissen über die Bedürfnisse Ihrer Kinder und Ihre Fähigkeit, ihnen Ihre Grenzen zu zeigen.

Es wird einige abendliche Besuche neben dem Bett Ihres Sohnes brauchen, bis er alleine ein- und durchschläft.

In Ihrer speziellen Situation als Patchworkfamilie sollte keines der Kinder bis auf Ihre gemeinsame kleine Tochter bei Ihnen im Bett schlafen. Der fünfjährige Sohn hat vermutlich keine Angst, er ist es einfach nicht gewohnt, alleine zu schlafen. Es wird schon einige abendliche «Besuche» an seinem Bett brauchen, bis er tatsächlich alleine ein- und auch durchschläft.

Nicht zu lange diskutieren

Zuerst müssen Sie und Ihr Mann sich gemeinsam klar darüber werden, was Sie wollen. Sobald Sie das wissen, berufen Sie ein Familientreffen ein, an dem alle Mitglieder teilnehmen. Zuerst erzählen Sie, wie frustriert und erschöpft. Sie sind und dass Sie die Verantwortung dafür übernehmen. Dann teilen Sie den Kindern Ihre Entscheidung mit und erlauben Ihnen, darauf zu reagieren. Aber diskutieren Sie nicht zu lange darüber! Die Entscheidung ist gefallen, und dabei bleibt es.

 Falls Sie jetzt denken, dass das ein zu hartes Vorgehen ist – keine Sorge. Sie haben schon sehr lange jeden möglichen Respekt für die Bedürfnisse der Kinder gezeigt. Sie haben eine wunderbare Komfortzone für alle geschaffen und die Beteiligten liebevoll umsorgt.

 Nun ist es an Ihnen, Prioritäten zu setzen. Fast die Hälfte aller ein- bis fünfjährigen Kinder dieser Welt schläft in der Nacht unruhig und unregelmässig. Auch viele Ratgeber und Bücher zum Thema können das nicht ändern. Selbst jene nicht, die sich ausschliesslich auf die Bedürfnisse der Kinder, deren Eigenarten und schlechten Gewohnheiten konzentrieren.

Der Grund ist einfach: In diesem turbulenten Alter können die besten Eltern der Welt keine Ordnung und Harmonie in die inneren Zustände ihrer Sprösslinge bringen. Was Sie aber machen können, ist, verlässliche und sichere Rahmenbedingungen zu schaffen.


Über Jesper Juul:

Jesper Jaul ist Familientherapeut und Autor zahlreicher internationaler Bestseller zum Thema Erziehung und Familien. 1948 in Dänemark geboren, fuhr er nach dem Schulabschluss zur See, war später Betonarbeiter, Tellerwäscher und Barkeeper. Nach der Lehrerausbildung arbeitete er als Heimerzieher und Sozialarbeiter und bildete sich in den Niederlanden und den USA bei Walter Kempler zum Familientherapeuten weiter. Seit 2012 leidet Juul an einer Entzündung der Rückenmarksflüssigkeit und sitzt im Rollstuhl. Jesper Juul hat einen erwachsenen Sohn aus erster Ehe und ist in zweiter Ehe geschieden.

Jesper Juul schreibt regelmässig exklusiv in der Schweiz für das Elternmagazin Fritz+Fränzi. Bestellen Sie jetzt ihr Abo!