Mein Kind hört mir nicht zu!  - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Mein Kind hört mir nicht zu! 

Lesedauer: 4 Minuten

Nach ein paar Änderungen des Drehbuchs werden Sie nicht mehr ständig an eine Wand reden.

Text: Fabian Grolimund
llustration: Petra Dufkova/Die Illustratoren 

Kinder und Jugendliche, die nicht zuhören, sind für Lehrpersonen und Eltern unheimlich lästig. Das weiss ich aus Erfahrung. Von meiner Kindergartenzeit ist mir nur etwas geblieben: ihr ärgerlicher Gesichtsausdruck und die Worte: «Fabian! Hörst du zu!» Ich war nicht frech, ich war einfach immer woanders. Bei der Geschichte hörte ich drei Minuten zu, dann dachte ich mir selbst aus, wie es weitergehen könnte. Manche Kinder sind verträumt, andere – besonders Jugendliche – blocken die Eltern ab. Was können wir als Eltern tun, damit uns Kinder und Jugendliche zuhören?

Wie Ihnen ein verträumtes Kind zuhört

Die verträumte Art meiner Kindheit ist mir geblieben. Und es kommt leider immer noch vor, dass sich Menschen, die mir wichtig sind, darüber ärgern. Mein Sohn, drei Jahre alt, weiss hingegen, wie man mit Menschen meines Schlags umgeht.

Wenn er nach Hause kommt und ich in meine Arbeit oder ein Buch vertieft bin, pirscht er sich an mich heran. Er legt mir seine kleine Hand aufs Knie und wartet, bis ich ihn anschaue. Dann sagt er: «Papa?», und macht eine kunstvolle kleine Pause, die mir Zeit gibt, zu nicken.

Als Zweites warnt er mich vor: «Ich will dir etwas erzählen …» Nun wartet er auf mein «Ja?» und sagt, um den Ernst seiner Absicht zu betonen: «Etwas Langes.»

Manche Jugendlichen hören nicht zu, weil sie sich selbst ungehört und unverstanden fühlen.

Manchmal habe ich fast das Gefühl, er liest heimlich meine Psychologiebücher. Auf jeden Fall hat er das Prinzip «Handeln statt reden» gut verinnerlicht, indem er mich durch eine Berührung ins Hier und Jetzt holt und zuerst Blickkontakt herstellt, um sich meine Aufmerksamkeit zu sichern.

Und indem er mir sagt, was er vorhat – und mir damit die Möglichkeit gibt, mich darauf einzustellen. Während wir uns die Aufmerksamkeit von jüngeren Kindern relativ gut sichern können, indem wir einige Kommunikationsregeln beachten und uns beispielsweise auf Augenhöhe begeben und das Kind zuerst anschauen, werden Gespräche mit Jugendlichen oft deutlich anspruchsvoller.

Wie Ihnen Jugendliche zuhören 

Eltern von Pubertierenden haben oft das Gefühl, an eine Wand zu reden. Die Jugendlichen nehmen den guten Rat nicht an, zeigen keine Einsicht, verhalten sich renitent und impulsiv. Inzwischen ist es populär geworden, dieses Verhalten von Jugendlichen mit Umbauprozessen im Gehirn zu erklären.

Es könnte aber – zumindest ab und zu – auch sein, dass die Jugendlichen nicht zuhören, weil sie das Gefühl haben, dass die Erwachsenen nichts zu sagen haben. Nichts Hörenswertes zumindest.

Manche Jugendliche hören nicht zu, weil sie sich selbst ungehört und unverstanden fühlen. Sie haben das Gefühl, dass sich ihre Eltern nur dafür interessieren, was sie tun und lassen, welche Ziele sie erreichen, wie sie zu denken und wie sie sich zu fühlen haben. Jugendliche brauchen ihre Eltern.

Viele Gespräche in Familien laufen ab, als hätte jemand ein Drehbuch für ein Theaterstück geschrieben.

Aber sie wollen eigene Wege gehen, eigene Standpunkte entwickeln und vertreten können und kein Produkt ihrer Eltern sein. Sie öffnen sich eher und hören zu, wenn sie das Gefühl haben, dass man sie ernst nimmt und zumindest versucht, sich auf ihre Welt einzulassen.

Für Jugendliche hören sich Gespräche mit den Eltern manchmal so an: Jugendlicher: «Alle gehen zur Party. Wenn ich als Einziger nicht hingehe, bin ich wieder der Aussenseiter.» Eltern: «Die Schule ist wichtig. Wenn du später einen guten Job willst, musst du am Ball bleiben.»

Vielleicht befinden sich dazwischen noch ein paar weitere Sätze. Aber oft wissen Jugendliche genau, worauf es hinauslaufen wird. Und es stellt sich die berechtigte Frage, weshalb man sich dann ein Gespräch überhaupt antun sollte.

Viele Gespräche in Familien laufen ab, als hätte jemand ein Drehbuch für ein Theaterstück geschrieben, das immer wieder neu aufgeführt wird – mit den immer gleichen Dialogen und dem immer gleichen Ausgang.

Ändern Sie das Drehbuch 

Wenn Gespräche wie nach Drehbuch ablaufen, kann man zwei Dinge tun: den eigenen Text beibehalten und hoffen, dass das Gegenüber plötzlich seinen Part ändert – oder die eigene Rolle, den eigenen Part verändern und sich überraschen lassen, welche Wendung das Stück nehmen wird.

Die zweite Variante ist spannender und bringt Bewegung ins Stück. Vor allem dann, wenn Sie eine interessante, neue Rolle einnehmen. Wenn Sie merken, dass Sie bisher vor allem in der Rolle des Staatsanwalts den Jugendlichen in die Zange genommen oder als Richter sein Verhalten beurteilt haben, könnten Sie in die Rolle des Detektivs schlüpfen.

Bringen Sie mehr über Ihr Kind in Erfahrung, indem Sie genauer nachfragen. Versuchen Sie, möglichst unvoreingenommen zu ergründen, welche verborgenen Motive Ihr Kind zu seinen Taten antreiben, welche Perspektive es einnimmt, was ihm momentan wichtig ist und warum es Mühe hat, Ihren Rat anzunehmen.

Vielleicht hilft Ihnen der Perspektivenwechsel, Ihre Argumente zu überdenken oder anders vorzubringen.

Sie können sich vorstellen, Sie wären eine Journalistin. Schreiben Sie einen dramatischen Bericht über die sich abspielenden Diskussionen, und beleuchten Sie die verschiedenen Akteure und deren Handlungen. Schreiben Sie dabei über sich in der dritten Person: Rita betritt das Zimmer ihres Sohnes.

Sofort steigt ihr der Geruch aus gammligen Turnschuhen und jugendlichen Ausdünstungen in die Nase. «Wie sieht es denn hier wieder aus!? Kannst du nicht ab und zu etwas saubermachen? Und wie es hier stinkt!», keift sie den Sprössling an.

Ihr Sohn geht in Abwehrstellung, verschränkt lasziv-lässig die Arme hinter dem Kopf und lehnt sich im Bürostuhl zurück. Im Hintergrund läuft das Videogame. Es ist diese Pose, die das Fass zum Überlaufen bringt … Sie können sich den Text am nächsten Tag anschauen, vielleicht darüber schmunzeln oder sich überlegen, wie sich der Ablauf verändern liesse.

Sie könnten auch die Rolle des Anwalts Ihres Kindes einnehmen und einige Notizen für eine flammende Verteidigungsrede zusammenstellen – zum Beispiel darüber, weshalb es ganz normal ist, dass sich Jugendliche mehr für Freundschaften als für die Schule interessieren.

Das heisst nicht, dass Sie von Ihrer Position abrücken – aber vielleicht hilft Ihnen der Perspektivenwechsel, Ihre Argumente zu überdenken oder anders vorzubringen. Ab und zu lohnt es sich, darüber nachzudenken, welche Theaterstücke man leid ist – und wo es sinnvoll und interessant wäre, die Aufführung etwas abzuändern.

Fabian Grolimund
ist Psychologe und Buchautor. Gemeinsam mit ­Stefanie Rietzler leitet er die Akademie für Lerncoaching in Zürich. Er ist verheiratet, Vater eines Sohnes und einer Tochter und lebt mit seiner Familie in Fribourg.

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