«Die Wut auf meinen Ex-Mann überträgt sich manchmal auf die Kinder» - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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«Die Wut auf meinen Ex-Mann überträgt sich manchmal auf die Kinder»

Lesedauer: 2 Minuten

Ich erzähle

Susanna*, 43, lebt mit ihren Söhnen Marco, 12, und Dominik, 9, in der Nähe von Chur. Die Lehrerin hat sich vor zwei Jahren vom Vater der beiden Jungen scheiden lassen.

«Mein Ex-Mann und ich haben das geteilte Sorgerecht für unsere Söhne. Für die Jungen finde ich das richtig und wichtig, für mich selbst ergeben sich daraus Probleme. Mein Ex-Mann und ich haben leider Schwierigkeiten bei unseren Absprachen. Das führt immer wieder zu unschönen Ereignissen und Streitigkeiten. Ich bin oft am Limit, manchmal rasend vor Wut auf ihn, aber ich kann ihm nicht aus dem Weg gehen. Stattdessen arbeite ich mit einer Therapeutin daran, mit meinen negativen Gefühlen umzugehen, denn ich möchte sie nicht auf unsere Jungen übertragen.
 
Letzte Weihnachten haben die beiden Jungen den Heiligabend bei ihrem Vater verbracht, am Morgen des 25. Dezember sollten sie zu mir kommen. Ihr Vater behielt die Kinder den ganzen Tag bei sich, ohne mir das mitzuteilen. Meine Anrufe blieben unbeantwortet. Als Marco und Dominik am Abend eintrafen, war ich fix und fertig. Und traurig und wütend. Ich habe wegen allen möglichen Nichtigkeiten herumgeschimpft. Irgendwann hat mein jüngerer Sohn gesagt: ‹Wir können doch nichts dafür.› Er hatte natürlich recht! Ich habe mich dann zusammengerissen, aber das gelingt mir leider nicht immer.

«Ich versuche meinen Buben zu vermitteln, wie eine wertschätzende Kommunikation verläuft.»

Alltagskonflikte verlaufen bei uns in der Regel konstruktiv. Wir drei begegnen uns auf Augen­höhe. Ich erkläre, warum ich etwas nicht gut finde oder etwas nicht möchte. Ich versuche ihnen zu vermitteln, wie eine wertschätzende Kommunikation verläuft. Klar, schimpfe ich auch mal, aber danach entschuldige ich mich auch.

Schwierig sind die Übergangstage, weil mein Ex-Mann anders kommuniziert als ich. Der findet mich viel zu weich im Umgangston, er ist sehr oft sehr streng und auch abwertend mit den Jungs. Ich merke das an Kleinigkeiten im Alltag. Kürzlich hat mein jüngerer Sohn ein Glas umgestossen. ‹Kein Drama, das passiert!›, habe ich gesagt. Aber er hat erwidert: ‹Immer passiert mir das, ich bin so ungeschickt, so ein Trampel.› Diese Sicht auf sich hat er nicht von mir, das beunruhigt mich. Ich habe mit meiner Therapeutin darüber gesprochen und sie hat mir gesagt, dass ich das nicht ändern kann. Meine Aufgabe ist es, den Buben ein anderes Selbstbild zu vermitteln, sie zu stärken.

Umso schwieriger ist es für mich, zu sehen, dass mein Grosser Verhaltensweisen seines Vaters adaptiert. Mein Ex hat mich oft zurechtgewiesen und beschimpft, wenn er mit sich selbst unzufrieden war. Als mein Sohn vor Kurzem eine Vase zerbrochen hat, habe ich ihn gefragt, ob er sich verletzt habe. Er hat mich heftig angeschnauzt: ‹Was für eine blöde Frage!› Ich habe erwidert: ‹Du bist wie dein Vater.› Das war gemein! Ich hätte sagen sollen: ‹Ich möchte nicht, dass du so mit mir sprichst.› Ich weiss, dass er seinem Vater auf keinen Fall ähneln möchte. So eine Bemerkung ist ein No-Go. Ich muss die Situation und das Verhalten kritisieren, nicht die Person abwerten.»

* Name der Redaktion bekannt


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