10 Tipps für mehr Musik im Alltag
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10 Tipps für mehr Musik im Alltag

Lesedauer: 5 Minuten

Viele Menschen halten sich für unmusikalisch. Dabei haben sie nur Angst, sich zu blamieren. Kinder können da ein Vorbild sein. Von ihrer Freude an der Musik profitieren auch die Eltern, wenn sie sich auf gemeinsames Singen, Tanzen oder Trommeln einlassen. 

Text: Sibylle Dubs
Illustration: Partner&Partner

Wenn Familie Meili aus dem Auto steigt, haben nicht selten alle vier ein breites Grinsen im Gesicht. Der Grund: Familie Meili rappt zusam­men im Auto. Dabei treibt sie weder pädagogischer noch musikalischer Ehrgeiz zu ihren Sprechkonzerten im Auto. Es tut ihnen ganz einfach gut. Die Kinder im Alter von 8 und 10 Jahren haben Freude, und die Erwachsenen ebenso.

Auch bei Familie Ryser aus Zürich hat das gemeinsame Singen Tradition. Jeder darf sich am Abend ein Lied wünschen, das gemeinsam angestimmt wird. Ohne würden ihre Kinder nicht mehr schlafen, sagt Mutter Esther lachend. Bei vier Lie­dern jeden Abend sei das Repertoire über die Jahre gross geworden. Die Eltern sind überzeugt, dass das ge­meinsame Singen den Kindern in vielerlei Hinsicht guttut. Sie spürten dabei ihren Körper, und es stärke auch das Zusammengehörigkeitsge­fühl und das Selbstvertrauen, erzählen sie. Dabei sei der Vater zu Beginn beim Vorsingen geradezu gehemmt gewesen.

Singen ist vielen peinlich

Musikalische Hemmungen haben viele Erwachsene. Sich musikalisch zu äussern, verbinden viele mit Angst und Peinlichkeit. Der Musiker Mani Matter beschreibt im ersten Satz seines Liedes «Hemmige» so trefflich, dass es Leute gebe, die «nei bhüetis nei» nie ein Lied vor anderen singen würden. 

Eine stattliche Anzahl erstarrter Gesichter sah ich kürzlich am ersten Schultag unseres Sohnes, als alle Erstklässler und ihre Eltern dazu aufgefordert wurden, zusammen ein Lied zu singen und «nei bhüetis nei!» auch noch dazu zu tanzen.

Die Lehrerinnen zwangen die Anwesen­den im wahrsten Sinn des Wortes in die Knie. Und als wir uns um uns selber drehen mussten, konnten wir die Aktivität der anderen überprüfen. Sogleich wurde das Lied im Kanon angestimmt. Es klang nicht schlecht und die Bewegungen wur­den mit jedem Durchgang etwas lockerer.

Beim Hinsetzen war in den Ge­sichtern der eben noch schüchter­nen Erstklässler pure Freude zu sehen – bei den Erwachsenen aber dominierte die Erleichterung dar­über, dass der lockere Teil der Ver­anstaltung zu Ende war.

Kinder haben keine Angst vor Fehlern

Beim Musizieren und Tanzen sind wir verwundbar, weil wir unser Inne­res nach aussen kehren. Folgen dar­ auf herablassende Worte, Grinsen oder eine schlechte Bewertung, wird sich der Betroffene nicht selten lebenslang als unmusikalisch bezeich­nen und sich vielleicht auch in anderen Bereichen vor Blamagen ängs­tigen.

Es gilt deshalb, bei Kindern zurückhaltend zu sein mit Bewer­tungen ihres musikalischen Tuns. Vielmehr sind Kinder für uns Erwachsene eine Chance, uns selbst noch einmal auf den Weg zu machen, bereits Verdecktes wieder wahrzunehmen und Neues auszu­probieren. Denn Kinder haben ausserordentliche kreative Fähigkei­ten und keine Angst vor Fehlern.

Musizieren bedeutet auch, sein Inneres nach aussen zu kehren.
Musizieren bedeutet auch, sein Inneres nach aussen zu kehren.

Der Forscher und Autor Ken Robinson ist überzeugt, dass unser Bildungssystem die angeborene Kreativität der Kinder wegtrainiert, indem Fehler negativ bewertet wer­den. «Wenn du nicht bereit bist, Fehler zu machen, wirst du nie etwas wirklich Originelles schaffen», sagte er in einer Rede, die unterdessen über 40 Millionen Mal im Netz angehört wurde.

Robinson, der selbst Universitäts­professor war und zur weltweiten intellektuellen Elite gezählt wird, plädiert für Kunst in der Bildung. Viel Kunst. Tanzen sei gleichzuset­zen mit Lesen und Schreiben. Dies ist einer seiner Ansätze, um Kinder und Jugendliche für die Herausforderun­gen der Zukunft fit zu machen. Auch plädiert Robinson, Wahrnehmung und Kreativität zu fördern, statt zu sehr auf den Intellekt zu fokussieren.

Eine Trommel ist keine Lärmquelle

Denn Intelligenz ist vielfältig. Unser Hirn begreift die Welt so, wie wir sie wahrnehmen: in Tönen, visuell, ab­strakt, in Berührung und Bewegung. Und je vielseitiger wir eine Sache verstehen lernen, desto vielseitiger sind unsere Ideen, die wir generie­ren.

Die Musik kann hier viel leisten. Wir tun unseren Kindern deshalb keinen Gefallen, wenn wir sie beim Experimentieren bremsen. Wir pro­fitieren sogar, wenn wir mitmachen. Instrumente sind dabei eine wert­ volle Hilfe. Zum Beispiel eine Trom­mel. Diese als Lärmquelle abzutun, ist ein Fehler. Eine Trommel ist sinnlich und wandelbar. Auf ihr kann man den Flug des Schmetter­lings aus dem Bilderbuch vertonen (natürlich auch den Bärenmarsch!) oder zum Tanz aufspielen.

Beim Musizieren lernt man, seine Kräfte einzu­teilen, und trainiert die Koordina­tion von Hand und Auge.

Für den täglichen Hausgebrauch sei eine Djembe empfohlen. Diese Trommel «weckt» man am besten vor dem Spielen, indem man über das gespannte Ziegenfell streicht. Das ist gleichzeitig Fellpflege und Sinnesdusche für Hände und Ohren. Mit einfachem Ausprobieren kann man der Trommel verschiedene Töne entlocken und mit fortschrei­tender Übung diese richtiggehend hinausziehen. Legt man die Trom­mel auf den Boden, kann man sich auf sie setzen und so spielen.

Bewegung und Musik

Bewegung und Musik sind untrennbar miteinander verbunden. Ohne Bewegung erklingt kein Ton, weder mit der Stimme noch auf einem Instrument. Bewegung ist aber weit mehr als eine Dienerin der Musik. Der bewusste Umgang mit dem Körper und die Arbeit an der Bewegungsgestaltung eröffnet Kindern neue Möglichkeiten, sich auszudrücken und sich und andere wahrzunehmen.

Musizieren bedeutet, sich kör­perlich auszudrücken und seine Bewegung zu spüren. Man lernt dabei, seine Kräfte einzu­teilen, und trainiert die Koordina­tion von Hand und Auge. Musik fördert aber auch die Vorstellungs­kraft von Mustern und Formen und die Erfahrung von Raum und Zeit.

Musik ist Kommunikation

Auch ist Musik immer Kommuni­kation. Dies kann man beobachten, wenn ein Kind ganz alleine trom­melt, singt oder tanzt. Es ist eine Form, sich auszudrücken.

Die Krönung ist natürlich das gemeinsame Musizieren. Das Ge­heimnis des Erfolges beruht bei Lai­en wie bei Profis darin, aufeinander zu hören und einen gemeinsamen Puls zu haben. Wie gut jeder sein Instrument beherrscht, ist zweitran­gig. Als unser Sohn und sein Kindergartengspänli einmal mit Ukulele und einem Schwyzerörgeli experi­mentierten, wurde es ihnen selbst zu lärmig. Sie erzählten später, sie hät­ten fast aufgegeben. Doch dann stimmten sie sich ab und erfanden zusammen eine Art Strophe und Refrain. Das Resultat begeisterte sie so, dass sie zur Belohnung ihrer Leis­tung Plastikgeld aus der Kinderkasse in den Örgelikoffer warfen.

Ob wir im Auto hemmungslos rappen oder uns vom singenden Ton einer Klangschale in die Stille füh­ren lassen – das alles ist Teil unseres Reichtums an Fähigkeiten. Pflegen Sie diese – es lohnt sich.

So bringen Sie Musik in den Alltag: 10 Tipps

  1. Legen Sie eine Auswahl Instrumente bereit, zu denen die Kinder Zugang haben: etwa Rasseln, einen Klangstab, eine afrikanische Djembe, einen Triangel, eine Mundharmonika, Klanghölzer, Handtrommeln. Lassen Sie die Kinder Erfahrungen damit machen. Bewerten Sie diese nicht. Wenn Sie selbst auf den Instrumenten spielen, kann das Kind bei Interesse die Technik abschauen.
  2. Bauen Sie mit dem Kind ein Instrument – mit den Kleinen Zupfschachteln oder Rasseln, mit den Grösseren können Klanghölzer aus einem Ligusterast geschnitzt werden. Es gibt auch Instrumentenbausätze, zum Beispiel für Cajon. Anleitungen finden Sie im Internet oder in der Bibliothek.
  3. Setzen Sie die Instrumente bei einer Geschichte ein. Lassen Sie beispielsweise zum Schluss den Teddybär über die Trommel laufen.
  4. Gestalten Sie mit Instrumenten und Utensilien aus dem Haushalt ein Klangbild: etwa einen Gewittersturm, einen Urwald, einen Gletscher, das Weltall.
  5. Erfinden Sie ein Lied auf einer Wanderung. Beginnen Sie mit dem Refrain, vielleicht finden Sie zusammen einen Reim. Die Melodie kann erfunden oder übernommen werden. Für ein sehr spontanes Gutenachtlied pickt sich der Sohn drei Sachen von einem Bild. Zum Beispiel Australien, einen Zug und einen Elch von der bunten Weltkarte. Bauen Sie, ohne lang zu überlegen, eine kleine Geschichte daraus und singen Sie diese frei drauflos. 
  6. Klänge im Alltag bieten viele kreative Möglichkeiten: Das Zerknüllen von Papier, das Knistern eines Sandsäckchens verbindet das Fühlen mit dem Hören. Oder man übernimmt einen Ton, zum Beispiel den der elektrischen Zahnbürste: Nutzen Sie die drei Minuten für tägliches gemeinsames Improvisieren mit Ihrem Kind.
  7. Gemeinsame Kurse liefern Inputs für noch mehr Musik zu Hause. Es gibt tolle und vielseitige Wochenend- oder Ferienkurse. Für die Kleinen eignet sich Eltern-Kind-Singen (kurz Elki), das viele Musikschulen anbieten.
  8. Erzählen Sie Ihrem Kind, was Sie zu einem Stück zu sagen haben. Macht es Sie traurig, haben Sie dabei Lust, zu tanzen? Vielleicht hören Sie ein Instrument heraus, z. B. das Gitarrensolo. 
  9. Tanzen Sie mit Ihrem Kind durch die Wohnung. Übermütig oder verträumt, so wie Sie sich gerade fühlen. 
  10. Erforschen Sie zusammen die Herkunft des Instruments. Decken Sie sich in der Bibliothek mit Material ein. Vielleicht kochen Sie eine Spezialität des Heimatlandes oder schauen sich im Internet einen Tanz an. Finden Sie ein Lied, das Sie in der Originalsprache singen können.

Sibylle Dubs
ist freie Autorin. Die Musikpädagogin übt selber viel mehr, seit das Klavier zu Hause in der Küche steht. Der Esstisch wurde ins Wohnzimmer ausquartiert. Doch auch wenn die Musik in den Alltag integriert ist, müssen ihre Kinder Teenager noch regelmässig ans Spielen erinnert werden.

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