Wie viel kostet ein Kind? - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Wie viel kostet ein Kind?

Lesedauer: 3 Minuten

Mehrere Studien haben aufgezeigt, wie stark der Nachwuchs das Haushaltsbudget belastet. Die Ergebnisse zeigen auch: In der Schweiz werden die Familien im europäischen Vergleich nur wenig unterstützt.  

Die Familie ist ein zentraler Pfeiler der Gesellschaft. Ganz einfach: Ohne Kinder stirbt unsere Gesellschaft aus. Und so wichtig es ist, sich um die Renten zu kümmern, so wichtig ist es, über Familienpolitik nachzudenken. Man muss der Frage nachgehen, wie viel ein Kind kostet und welche Unterstützungsbeiträge Familien von Behörden oder Unternehmen erhalten.

Dabei muss zwischen direkten Kosten in Form von Zusatzkosten – Krankenkassenprämien, Lebensmittelkosten usw. – und indirekten Kosten unterschieden werden. Letztere entstehen aufgrund einer Reduktion oder eines Unterbruchs der beruflichen Tätigkeit zugunsten der Kinder und haben einen Erwerbsausfall oder ein tieferes Einkommen zur Folge.

In der Schweiz greift der Staat finanziell ein, um einen Teil dieser Kosten zu decken: Die beiden Mittel dazu sind Familienzulagen und Steuerabzüge. Weitere kommen hinzu, darunter Beiträge des Bundes, um die Kosten für die externe Kinderbetreuung zu senken, oder Prämienverbilligungen von Krankenkassen für Kinder und Jugendliche. In einigen Kantonen (Genf, Tessin, Solothurn, Jura und Waadt) gibt es auch Ergänzungsleistungen für Familien, die – im Gegensatz zu Familienzulagen – nur an Familien mit begrenzten finanziellen Mitteln ausbezahlt werden.

Bei uns kostet ein Kind rund 1500 Franken pro Monat 

Im Auftrag von Pro Familia Schweiz versuchten Joseph Deiss, Marie-Luce Guillaume und Ambros Lüthi 1988 als Erste zu messen, was ein Kind kostet. Sie gingen der Frage nach, welches zusätzliche Einkommen eine Familie mit Kindern benötigt, um den gleichen wirtschaftlichen Lebensstandard wie ein kinderloses Paar zu erreichen. Die Studienautoren kamen zum Ergebnis, dass ein Paar mit einem Kind ein um 24 Prozent höheres Einkommen haben müsste als ein Paar ohne Kinder. Bei einem Paar mit zwei Kindern sind es 43 Prozent, bei drei Kindern 60 Prozent.
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1995 erschien die Studie des Büros für arbeits- und sozialpolitische Studien, kurz BASS. Sie eröffnete eine neue Dimension in Bezug auf die Untersuchung von Kinderkosten, indem sie den Begriff der indirekten ­Kosten einführte. Das sind diejenigen Kosten, die sich aufgrund der Reduktion der beruflichen Tätigkeit hauptsächlich der Mutter nach der Geburt eines Kindes ergeben. Tatsächlich beschliesst die überwiegende Mehrheit der Frauen nach der Geburt eines Kindes, ihre Arbeitszeit zu reduzieren oder ihre berufliche Tätigkeit für einen bestimmten Zeitraum zu unterbrechen.

Neben dem Erwerbsausfall stellt ein Unterbruch auch ein ­Hindernis für die berufliche Entwicklung und die kontinuierliche Weiterbildung dar; auch davon sind derzeit vor allem Frauen betroffen. Im Jahr 2016 war die Hälfte aller Frauen mit Kindern unter 12 Jahren entweder nicht oder mit einem reduzierten Arbeitspensum von unter 50 Prozent erwerbstätig.

Im Anschluss an die BASS-Studie beauftragte das Bundesamt für Sozialversicherungen dasselbe Unternehmen mit der Durchführung einer vertieften Studie, in welcher die direkten und indirekten Kosten mit zwei neuen Variablen ergänzt wurden: einer Schätzung über einen längeren Zeitraum und einer Differenzierung dieser Kosten nach Einkommenskategorien. Die folgende Tabelle zeigt die direkten und indirekten Kosten für Kinder auf der Grundlage eines durchschnittlichen ­Einkommens und über einen Zeitraum von 20 Jahren:

Direkte und indirekte Kosten für Kinder auf Grundlage eines durchschnittlichen Einkommens und über einen Zeitraum von 20 Jahren.
Direkte und indirekte Kosten für Kinder auf Grundlage eines durchschnittlichen Einkommens und über einen Zeitraum von 20 Jahren.
Hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung betragen die indirekten Kosten mehrere Milliarden Franken. Unsere Wirtschaft muss in grossem Ausmass auf qualifizierte Arbeitskräfte verzichten, wodurch ihr eine enorme Summe entgeht – Geld, das fehlt, weil die Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht gegeben sind.

Im Jahr 2009 stellte BASS zusammen mit der Universität Bern eine neue Berechnung der Kosten von Kindern auf. Der Kontext hatte sich seit der BASS-Studie erheblich verändert: Auf der einen Seite führten längere Ausbildungszeiten zu höheren Kosten, und die Ausgaben für die Kinderbetreuung sind gestiegen. Auf der anderen Seite reduzierte die zunehmende Beteiligung von Müttern auf dem Arbeitsmarkt die indirekten Kosten.

Nur ein Sechstel der Kosten wird ausgeglichen

Die Forscher gingen unter anderem der Frage nach, wie und in welchem Masse die Behörden den Betrag kompensieren, den Familien zusätzlich aufwenden müssen. Dieser beträgt laut Studien 47 Milliarden Franken, bestehend aus direkten und indirekten Kosten.

Das Ergebnis: Ausgeglichen wird nur ein Sechstel davon. Und das sehr ungleich, was die direkten und indirekten Kosten betrifft: Mittels Familienzulagen, Zusatzleistungen für Eltern, Stipendien und Steuerabzügen für Kinderbetreuungskosten werden 6,22 der 22 Milliarden Franken an direkten Kosten ausge­glichen, also zu gut einem Viertel. Indirekte Kosten werden praktisch nicht kompensiert (1,1 Milliarden von 25 Milliarden). Ein geringer Betrag wird durch ­Erziehungsgutschriften bei der AHV oder durch die Förderung von Kinder­tagesstätten ausge­glichen.

In den meisten Ländern Europas beteiligt sich die öffentliche Hand viel stärker, um die Familien zu entlasten. Eine Erwerbsreduktion führt nicht nur zu Einkommensein­bussen, sondern hat auch eine Lücke bei den Sozialversicherungen zur Folge, etwa bei der beruflichen Altersvorsorge, wo fehlende Beiträge – insbesondere im Falle einer Scheidung – zu erheblichen Einbussen führen.

Wollen wir Familien unterstützen und das Armutsrisiko reduzieren, so ist es unerlässlich, günstige Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu schaffen und die Unterstützungs­leistungen für Familien zu erhöhen. Dazu braucht es gezielte ­finanzielle Leistungen für Menschen mit begrenzten Ressourcen, damit diese nicht von der Sozialhilfe abhängig werden. 

Bild: Adobe Stock


Zum Autor:

Philippe Gnaegi, Dr., ist Ökonom, Direktor von Pro Familia Schweiz und arbeitet als Dozent an der Uni Freiburg. Er ist verheiratet und Vater von drei erwachsenen Kindern.
Philippe Gnaegi, Dr., ist Ökonom, Direktor von Pro Familia Schweiz und arbeitet als Dozent an der Uni Freiburg. Er ist verheiratet und Vater von drei erwachsenen Kindern.


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