Freundschaft währt, bis einer Vater wird

Kinder können langjährige Freundschaften gefährden, schreibt Lukas Linder. Dabei sollten Eltern nie auf Freunde verzichten.
Freundschaft währt ewig – oder bis einer Vater wird. Ich habe es selber erlebt. Auch in unserem Freundeskreis gab es dieses Paar, das schon früh ein Kind bekam. Ab dem ersten Tag war der süsse kleine Spatz Gesprächsthema Nummer eins bis «Ich glaub, wir müssen mal nach Hause». Später verwandelten sich unsere Besuche in kulturelle Soiréen, bei denen wir uns an seinen diversen Talenten ergötzen durften.
Er hat für uns gesungen, getanzt und gegeigt. Auch habe ich viel mit dem jungen Herrn gespielt. In chronologischer Reihenfolge: Eile mit Weile (verloren), Fussball (verloren), Schach (verloren). Dass ich währenddessen versuchte, mit seinem Vater ein Gespräch über Kafka zu führen, machte die Situation noch demütigender. Idiot, schien mir der hämisch grinsende Gnom zu sagen, was verstehst du schon von Kafka? Du hast gerade gegen einen Fünfjährigen beim Schach verloren.
Elternschaft erinnert häufig an eine Psychose: Man ist unfähig, die Verhältnisse anders als in Bezug auf das eigene Kind wahrzunehmen.
Genug, sagte ich nach diesem Abend. Wir gehen dort nicht mehr hin. Na ja, ich habe es nur gedacht, aber tatsächlich sahen wir unsere Freunde immer seltener. Vorsichtig äusserten wir den Wunsch, uns mal nur unter Erwachsenen zu treffen. Die Freunde wünschten das auch. Doch der Sohn war dagegen. Einmal haben wir es geschafft. Ein Abend nur zu viert, das Kind bei der Grossmutter verstaut. Wir sassen gemütlich beim Wein, als das Handy der Mutter klingelte: Der Sohn hat einen Tobsuchtsanfall. Verlangt die Eltern. Will nicht mehr leben. Zwei Minuten später waren sie weg.
So kam es, wie es kommen musste. Bald hörten wir uns nur noch am Telefon, wo wir versprachen, uns bald zu treffen, ohne es jemals wirklich zu tun. Heute ist ihr Sohn alt genug, um einen elternlosen Abend ohne Tobsuchtsanfall zu überstehen, doch wir haben schon lange keinen Kontakt mehr.
Eltern ohne Freunde
Nun bin ich selbst Vater und kann unsere Freunde besser verstehen. Natürlich, unser Sohn ist das grösste Wunder der Welt und es ist schwer zu glauben, dass es in dieser Hinsicht auch andere Meinungen geben könnte. Und doch ist es so. Für alle anderen ist er einfach ein weiteres Kind. Sie finden ihn süss oder schlau oder nervig. Und das ist okay.
Elternschaft erinnert häufig an eine milde Psychose: Man ist einfach unfähig, die Verhältnisse anders als in Bezug auf das eigene Kind wahrzunehmen. Eine Wolke erscheint am Himmel – ist es warm genug angezogen? Im Bus rülpst ein Betrunkener – wie süss er damals Bäuerchen gemacht hat. Auf der Arbeit erzählt jemand von dem Bandvirus, das er sich im Urlaub geholt hat – er wird immer bei uns bleiben.
Wenn Sie das nächste Mal kinderlosen Besuch haben, fragen Sie lieber: ‹Hey, und was geht bei dir?›
Das ist nicht gesund. Und es schadet der Freundschaft. Wenn Sie also das nächste Mal kinderlosen Besuch haben, seien doch besser Sie derjenige, der mit Ihrem Freund Schach spielt. Ihr Kind kann ja derweil etwas malen. Und anstatt zu einer halbstündigen Zusammenfassung seiner letzten Krankheiten anzusetzen, sagen Sie doch lieber etwas anderes, beispielsweise «Hey, und was geht bei dir?».
Denn eines Tages, das habe ich neulich zu meiner Frau gesagt, wird unser Kind uns verlassen. Ich weiss, das tut weh, doch es wird passieren. Und wenn wir dann keinen einzigen Freund mehr haben, weil wir sie alle längst in die Flucht geschlagen haben, werden da nur noch wir beide sein. Und was dann? Was dann?!