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Schluss mit den Familien-Weihnachtsmythen!

Lesedauer: 3 Minuten

Fröhlich mit den Kindern basteln und Guetzli backen zwischen stilvoller Deko im skandinavischen Schick? Die Advents-Realität sieht bei den meisten Familien völlig anders aus. Unsere Kolumnistin entlarvt 6 Weihnachtstmythen.

Text: Ulrike Légé
Bild: zVg

Aktualisiert im November 2022

Alle Jahre wieder wünsche ich mir sehnlichst, ein Weihnachts-Buddha zu sein. Tiefenentspannt, in mir ruhend, selig über den Dingen schwebend. Ich würde dafür sogar ein Buddha-Bäuchlein in Kauf nehmen – gefüllt mit Schoggi und Glühwein.

Stattdessen mutiere ich jedes Jahr pünktlich zum 1. Advent zu einem hässigen Duracell-Häschen. Ich springe panisch in alle Richtungen, belle Befehle an die Familie, bin permanent in Action. Meine To-Do-Liste ist vier Seiten lang und morgens um vier Uhr schrecke ich aus dem Schlaf um sie zu ergänzen: «Geschenk für die Schwiegermutter?» 

Weihnachts-Wahnsinn statt buddhamässiger Besinnlichkeit. Frust beim Shoppen statt Frieden im Herzen. Entnervt-Sein statt Erleuchtung. Warum bloss? Ich denke, schuld sind die verflixten Weihnachts-Mythen. An die wir Eltern so naiv und hartnäckig glauben wie unsere jüngsten Kinder an den Weihnachtsmann.

Mythos 1: Basteln mit Kindern macht Spass

Schon nach zwei Minuten ist es passiert: Kleine Fingerchen sind mit Heiss-Leim zusammengeklebt. Der Gussbeton wurde in die Ritze vom Esstisch gegossen. Unser Hund ist überschüttet mit Glitter und schleckt sich diesen vom Fell. Das Kleinkind blubbert aus dem Mund, nachdem es Seifenflocken gegessen hat.

Fünf Minuten später haben die Kinder jegliches Interesse am Basteln verloren. Sie stehen auf, um Farbe und Kleber im Rest des Hauses zu verteilen. Mami darf zwei Stunden lang die schaurig-schönen Bastel-Objekte zu Ende bringen, einpacken und alle Spuren wegputzen.

Mythos 2: Der Dezember ist ein besinnlicher Monat

Vielleicht war er das vor 2000 Jahren, als es noch keine Anlässe gab. Seitdem hat ein Weihnachts-Sadist beschlossen: In 24 Advents-Tage passen problemlos doppelt so viele Events:

  • Guetzli-Backen in der Schule (Schürze mitbringen!)
  • Flötenkonzert in der Musikschule (etwas fürs Büffet backen!)
  • Eislaufen mit der Klasse (gesamtes Ski-Outfit raussuchen!)
  • Wald-Weihnacht mit dem Förster (Klöpfer kaufen!)
  • Niggi-Näggi-Höck mit dem Sportverein (Wichtel-Geschenk organisieren!)
  • Krippenspiel in der Kirche (Kamel-Kostüm basteln!)

Wir Eltern sind dauernd am Kochen, Ausstatten und Wegräumen. Aber nicht die Hoffnung verlieren: Am Adventssingen, so zwischen 15.10 und 15.25 Uhr – da gehen wir es richtig besinnlich an!

Mythos 3: Stilvolle Weihnachtsdekoration

Nur ein paar Holzsterne und mundgeblasene Glaskugeln – wie wunderschön sieht die Deko bei unseren kinderlosen Freunden aus! So wollen wir es auch gerne haben.

Allerdings haben wir da ein paar kleine Probleme: Den selbstgebastelten Monster-Engel aus der Spielgruppe mit regenbogen-farbenem Glitzer zum Beispiel. Die schrillgrünen, schräg zusammengenähten Baum-Anhänger aus dem Kindsgi. Der Samichlaus aus klebergetränkten Pfeifenputzern vom Werken. Wenn wir sie nicht aufhängen, brechen Kinderherzen. Also ist der Stil bei uns wieder einmal grellbunt und überdekoriert statt mit minimalistischem skandinavischem Schick.

Mythos 4: Kinder backen gerne Guetzli

Kinder lieben es, mit ihren Fingern im Teig zu mantschen. Sie lieben es, Geschwister mit dem Nudelholz zu schlagen und sich um die Guetzli-Ausstecher zu streiten. Davon sind sie dann so erschöpft, dass sie es grad noch schaffen, einmal kurz auszurollen und auszustechen. 

Danach verschwinden unsere Kinder aus der Küche und entführen die Mehltüte, um eine Ski-Piste für die Playmobil-Männchen zu gestalten. Der Rest vom Backen hängt wieder einmal am Mami. Die muss auch Teigreste aus Kinderhaaren und Küchenschubladen entfernen. Und ist davon so gestresst, dass die erste Runde Guetzli im Ofen verbrennt. Die zweite Runde gelingt, aber Kraft zum Dekorieren hat niemand mehr.

Mythos 5: Schenken macht Freude

In Geschenken muss nur Liebe stecken, heisst es. Das klappt höchstens für frischgebackene Eltern. Denn Babies zerzupfen selig das Geschenkpapier und protestieren nicht – egal was drin steckt.

Wir Eltern mit grösseren Kindern lernen auf die harte Tour: Ein selbstgezimmertes Puppenhaus aus Holz würdigen unsere Kids weniger als Chucky, die Plastik-Pinkelpuppe. Wenn sich das Kind ein Trotti wünscht, dann nur genau DAS Modell in DER Farbe, die überall ausverkauft ist. 

Genauso ausverkauft übrigens wie der Spielzeug-Horror, den einfach alle haben müssen. Letztes Jahr die Hatchimals, die nicht ausschlüpfen wollten. Dieses Jahr die LOL Surprise Puppen, deren Winzteile sofort vom Baby oder Hund gefressen werden. Wer so etwas erfindet, muss Eltern hassen. 

Mythos 6: Unser Festmahl ist das Leckerste

Was haben wir nicht schon für tolle Ideen ausprobiert! Als französisch-deutsche Multikulti-Familie, die in der Schweiz lebt, ist die Auswahl ja gross. Aber einer mäkelt garantiert: Bretonische Austern? Viel zu schlubbrig! Norddeutscher Gänsebraten? Viel zu aufwendig! Ausserdem hat, wer dem Grossonkel beim Abnagen des Gänsehalses zusieht, bis Silvester keinen Appetit mehr.

Nur in einem Jahr waren alle zufrieden: Als uns der Braten verbrannte und wir Kartoffelsalat und Würstchen von der Migrolino-Tankstelle essen mussten.

Elsässische Foie Gras? Viel zu fragwürdig vom Tierschutz-Standpunkt! Findet zumindest unser Teenie. Karpfen blau? Viel zu moosig im Geschmack! Fondue bourguignonne? Viel zu fleischig für die Vegetarier! Nur in einem Jahr waren alle zufrieden: Als uns der Braten verbrannte und wir Kartoffelsalat und Würstchen von der Migrolino-Tankstelle essen mussten.

Zum Glück geht das Leben am 26. Dezember weiter. Dann ruinieren uns die Weihnachtsmythen nicht mehr das entspannte Familien-Leben. Dann machen Basteln, Backen, Schmücken, Schenken und Essen endlich wieder Spass. Bis dahin helfen nur Schoggi und Glühwein. Und über unsere Weihnachts-Krisen zu lachen. Buddha lächelt schliesslich auch immer. Frohe Adventszeit!

Ulrike Légé
ursprünglich aus Niedersachsen, lebt jetzt im Baselland, arbeitet Teilzeit für kleinere Unternehmen in Kommunikation und Strategie. Der grösste Teil ihrer Zeit und Liebe geht an die Familie; drei wuselige Kinder, ein französischer Mann und Hund Sunny.

Alle Texte von Ulrike Légé

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