TV-Kritik: Wie erziehst du denn? - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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TV-Kritik: Wie erziehst du denn?

Lesedauer: 2 Minuten

Jeden Nachmittag unter der Woche streiten Mütter auf VOX in der Reality-Show «Mein Kind, dein Kind – wie erziehst du denn?» darüber, wer die besseren Erziehungsmethoden hat. Unsere Redaktorin hat sich die auf Eskalation getrimmte Sendung angesehen – und wurde überrascht.

Das Konzept der Sendung ist einfach – und aus anderen Sendeformaten wie «Frauentausch» wohlbekannt. Man nehme ein möglichst emotionales Thema: die Erziehung. Man suche möglichst gegensätzliche Protagonisten und lasse sie dann aufeinander los. Britta zum Beispiel ist Künstlerin und findet: Kinder sollen sich frei entwickeln können. Regeln stören da nur. Die Beziehung zu ihrem 12-jährigen Sohn beruhe auf Freiwilligkeit und Vertrauen, sagt sie. Claudia hingegen hat vom Sender VOX die Bezeichnung «kontrollierende Hausfrau» verpasst bekommen und erzählt, ihre Kinder dürften sich entwickeln wie «Wellensittiche im Käfig» – also innerhalb ganz klar vorgegebener Regeln. 

Hier schnappen die ebenfalls vom Sender engagierten und gefilmten Zuschauer nach Luft: «Hat die grad echt gesagt, dass ihre Kinder in einem Käfig grosswerden?» Nur für den Fall, dass die Mütter selbst nicht genug streiten, dürfen nämlich noch andere die Erziehungsstile und Aussagen beurteilen. Da sitzen also die deutsche Standardfamilie (Mutter, Vater, Sohn und Tochter) und ein sehr junges Paar mit Baby vor dem Fernseher und geben die Experten. Damit aber niemand dem Sender einen Vorwurf machen könnte, dass hier Minderheiten diskriminiert würden, dürfen auch das schwule Ehepaar mit Hund, die Familie mit arabischen Wurzeln und Kopftüchern und die zwei älteren gemeinsam wohnenden Damen mitdiskutieren. Ein Querschnitt der deutschen Bevölkerung, heisst es in der Erklärung.

Die Fronten sind geklärt und man ahnt: Es wird Blut fliessen.

Bevor man nun diese Frauen aufeinander loslässt, jede einen Tag die Erziehung und den Alltag der anderen beobachten darf, müssen sie noch ein Sprüchlein aufsagen, was das Schlimmste wäre, was ihnen begegnen könnte. Und freilich sagen sie genau das vorher, was sie erwarten wird. 
Claudia: «Wenn die andere gar keine Regeln hat.» 
Britta: «Wenn die ihre Kinder mit Regeln erstickt und Druck aufbaut!» 
Jetzt sind die Fronten eindeutig geklärt. Man meint im Hintergrund eine Glocke zu hören, die die Kämpferinnen in den Ring bittet. Und ahnt: Es wird Blut fliessen.

Und dann das: Als sich die Mütter gegenseitig besuchen, stellt sich heraus, dass Britta sehr wohl Regeln hat: Ihr Sohn darf nämlich nur zwei Mal die Woche Fernsehen gucken. Und Claudia ist fasziniert davon, wieviel der Junge selbst und ohne Aufforderung mithilft. Sichtlich verunsichert rechtfertigt sie ihren eigenen Stil damit, dass «ihre Kinder eben ganz anders seien». Britta hingegen ist fasziniert davon, dass Claudia ihren Mädchen in Sachen Social-Media-Nutzung so viel erlaubt und wie sie sie dabei kontrolliert. «Das finde ich ganz furchtbar – da würde ich lieber kein Facebook nutzen, wenn ich weiss, dass meine Mutter mitliest», motzt die zuschauende junge Mutter mit Baby. Britta aber versucht zu verstehen. Sie versteht Claudias Sorgen, und dass sie ihre Töchter doch nur schützen will.

Wenn die Mütter ganz ehrlich sind, sind sie eigentlich alle verunsichert. Niemand weiss, was wirklich das Beste fürs Kind ist.

Und als sich beide Mütter dann ein drittes Mal auf «neutralem Boden zur grossen Ausssprache» treffen, fliesst noch immer kein Blut, sondern die zwei Frauen verabreden sich für die Sauna. Damit Claudia auch endlich mal was für sich mache, sagt Britta. Claudia selbst wirkt nachdenklich, hinterfragt ihre Methoden und auch Britta will sich das ein oder andere abschauen. «Ich habe gedacht, wir seien total verschieden – aber das stimmt gar nicht, wir erziehen beide mit Liebe», sagt die Künstlerin. Ein versöhnliches Ende. Umarmungen statt Zickenkampf. Selbst die Kommentatoren auf dem Sofa finden irgendwie beide Mütter gut und gar nicht so extrem. So hatte sich das der Sender sicher nicht vorgestellt. 

Eine Ausnahme? Ein Ausreisser im Sendekonzept? Und die Produktionskosten waren nur zu teuer, um die Folge einfach zu verwerfen? Vielleicht. Dann gab es allerdings mehrere Ausreisser. Zum Beispiel die Vollzeitmama, die streng nach Konzept erzieht und der überforderten Alleinerziehenden ihre Hilfe anbietet – eine echte Freundschaft entsteht. Statt keifender Mütter, die verbissen ihren Weg verteidigen, also feine Zwischentöne, Verständnis, die Erkenntnis, dass kein Weg perfekt ist und man – wenn man ganz ehrlich ist – doch sowieso gar nicht so genau wissen kann, was denn nun wirklich das Beste fürs Kind ist. 

«Mein Kind, dein Kind» könnte eine richtig gute Sendung sein. Wenn der auf reisserisch getrimmte Aufbau wegfallen würde. Und wenn Väter eine bedeutendere Rolle spielten. Aber die Erziehung von Kindern scheint auf VOX noch ganz klar reine Frauensache.


Bianca Fritz schaut gerne beim Wäsche zusammenlegen Doku-Soaps über Auswanderer oder Hundeerziehung. 
Bianca Fritz schaut gerne beim Wäsche zusammenlegen Doku-Soaps über Auswanderer oder Hundeerziehung.