Bindung: Unser Thema im Sommer - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Bindung: Unser Thema im Sommer

Lesedauer: 2 Minuten

Auch mit den zahlreichen Öffnungen sind wir noch auf Distanz und haben unseren Coverfilm via Zoom geführt. Sehen Sie in unserem Video, was Chefredaktor Nik im Gespräch mit unserer Online-Leiterin Florina Schwander zum Thema Bindung noch nicht wusste und welche spezielle Bindung er zu seiner Tochter hat. 

Video oben: Film in voller Länge auf Schweizerdeutsch, ohne Untertitel. 
Video unten: Gekürzte Version, mit Untertiteln. 

Liebe Leserin, lieber Leser

Es ist 20.20 Uhr, der 25. Mai 2020. Aus dem Mund von George Floyd tropft Blut. «I can’t breathe. I can’t breathe, man. Please.» Ein Polizist kniet auf dem Hals von Floyd. «I can’t breathe. I can’t breathe.» Der Afroamerikaner wiederholt den Satz 16 Mal innerhalb von fünf Minuten. Das Knie bleibt, wo es ist. «Ich werde in den Wagen steigen», verspricht Floyd. Das Knie drückt weiter auf seinen Hals, unerträgliche 8 Minuten, 46 Sekunden. Im Angesicht seines Todes ruft Floyd nach seiner Mutter: «Mama. Mama.» Dann verliert er das Bewusstsein. Eine Stunde später wird der 46-Jährige im Krankenhaus von Minneapolis für tot erklärt.

Was für ein schrecklicher, was für ein sinnloser Tod.

Dass George Floyd in höchster Not nach seiner Mutter gerufen hat, bewegt mich sehr. Während der Arbeit an dieser Ausgabe musste ich oft an diesen Moment denken. Der Ruf nach der Mutter ist der Ruf nach Sicherheit und Geborgenheit, Zuverlässigkeit und Trost. Wir alle werden mit dem Bedürfnis geboren, bedingungslos angenommen und geliebt zu werden. Bindung heisst dieses mächtige Gefühlsband, das Kind und Eltern zusammenhält. Auch wenn Väter heute in vielen Familien eine ebenso wichtige Rolle in der Entwicklung und Erziehung der Kinder spielen, ist weiterhin sehr oft die Mutter die wichtigste ­Bindungsperson für das Kind. Daran hat sich George Floyd in seiner grössten Not wohl instinktiv erinnert.

«Es ist an der Zeit, dass Eltern ihren Kindern schon früh erklären, dass in der Vielfalt Schönheit und Stärke liegen.»

Maya Angelou (1928–2014), Schriftstellerin und US-amerikanische Bürgerrechtlerin

Wie entsteht Bindung? Wie können Eltern eine enge, vertrauensvolle Verbundenheit zu ihrem Kind aufbauen? Und wie verändert sich die Beziehung im Verlauf der Jahre? Auf diese Fragen gibt das Dossier «Bindung» unserer leitenden Autorin Claudia Landolt Antworten. Ich empfehle es Ihnen sehr.

Der von mir sehr verehrte britisch-schweizerische Philosoph Alain de Botton wurde vor Kurzem von der «Süddeutschen Zeitung» über den Umgang mit der Corona-Krise befragt. Was uns die Geschichte denn lehre, wollten die Redaktoren wissen. «Sie lehrt uns, dass Menschen viele Katastrophen und Naturdesaster überlebt haben», antwortete de Botton. «Geschichte macht uns auch zu Grosseltern. Eltern sind konstant ängstlich, sagen sich, er hat zu wenig Freunde, sie kann noch immer nicht laufen. Und unsere Grosseltern? Sind ruhig und gelassen. Warum? Weil sie schon ein Stück weiter gelebt haben. Wir müssen alle so gelassen werden wie unsere Grosseltern.»

Was für eine Aussage! Sie passt wunderbar zu unserem Monatsinterview mit dem Soziologen François Höpflinger. Mit ihm hat meine Kollegin Evelin Hartmann über das Selbstverständnis der Grosseltern und die Beziehung zu ihren Enkeln gesprochen – und dies gleich zweimal: einmal vor Corona und einmal nach dem Lockdown. Spannend!

Ich wünsche Ihnen viel Freude mit dieser ­Doppelnummer, sorglose Sommertage und stets ein leichtes Herz.

Herzlichst – Ihr Nik Niethammer