Was Mütter verschweigen - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Was Mütter verschweigen

Lesedauer: 2 Minuten

Mütter (und Väter) müssen ihre Kinder erziehen und deshalb bringen gute Mütter (und Väter) ihren Kindern bei: Man darf nicht lügen. Lügen ist schlecht. Lügen ist unmoralisch. Aber wie so oft sind die eigenen Vorgaben nicht so leicht einzuhalten, wenn es um einen selber geht. Die durchschnittliche Mutter ist nämlich selber eine fleissige Lügnerin, so ergeben Umfragen. Mütter belügen andere Mütter, ihre Partner, ja sogar ihre Kinder. Besonders gerne lügen sie aber gegenüber ihren eigenen Müttern.

Fast drei Viertel der befragten Mütter gaben an, dass sie ihren Eltern was vorflunkern, wenn es darum geht, wie sie mit ihrer Familie zurechtkommen. Aber auch was die Frage betrifft, wie viel sie tatsächlich mit ihren Kindern spielen, wie oft sie sie fernsehen lassen und wie sie sie ernähren, flunkern Mütter gerne. Ebenso, was Finanzfragen und ihr Liebesleben betrifft.

Die Resultate erstaunen nicht besonders. Versagensängste, das Gefühl, nicht zu genügen, mit der Situation schlechter klarzukommen als die andern – wer kennt das nicht? Mit guten Freundinnen kann man das vielleicht diskutieren – mit Müttern will man das in der Regel eher nicht. (Notiz an mich selbst: Auf diesen Gedanken zurückkommen, wenn das eigene Kind in die Pubertätkommt).

Denn entweder war die eigene Mutter ein so strahlendes Idealbild von Vorzeigemutter, dass man dagegen immer eine wandelnde Mängelliste bleiben wird, oder dann hat sie es ganz und gar nicht auf die Reihe gekriegt und es bleibt nur die Erkenntnis, dass man selber keinen Deut besser ist.

Was den Status quo mit Kindern und Doppeleinkommen gefährden könnte, sagen wir lieber nicht laut.

Interessanter ist die Frage, wie man seinen Kindern beibringen soll, man dürfe nicht lügen, wenn man anderen gegenüber nicht ehrlich ist. Und das betrifft nicht einmal nur die eigene Mutter. So fand man bis vor kurzem auf Mumsrock.com noch eine Liste über jene Dinge, die Mütter ihren Männern verschweigen.

Neben den oben erwähnten Flunkereien über den TV-Konsum der Kinder und ihre Ernährung, tauchten da auch Punkte wie die Folgenden auf: Dass Mütter eigentlich lieber alleine in die Ferien fahren würden und dies bloss nicht tun, weil sie dafür zu gut erzogen sind. Dass sie zu viel Geld für Kosmetika ausgeben. Dass sie im Bett Multitasking betreiben und beim Liebesakt darüber nachdenken, welches das beste Rezept für Blumenkohl ist. Oder welche TV-Bullen man nicht von der Bettkante stossen würde. Und dass Mütter nur deshalb nicht laut sagen, was sie denken, weil sie den Status quo mit Kindern und Doppeleinkommen nicht gefährden wollen.

Also nun: Ist lügen in jedem Fall unmoralisch oder gibt es gewisse Themen, über die lügen okay ist? Der Philosoph und Schriftsteller Maurice T. Maschino hat in dieser Frage eine originelle Ansicht. Er sagt: Die Lüge in der Partnerschaft, zu der er auch Unterlassung, Halbwahrheiten, Verschweigen, Beschönigen zählt, sei nicht nur unvermeidlich, sondern sogar notwendig – er versteht sie als eigene Form der Liebe. 

Die Lüge nützt letztendlich beiden Partnern

Gelogen werde vor allem, wenn jemand sich in seiner Intimität gestört fühle, etwa durch einengende Lebenssituationen oder Moralvorstellungen. Dahinter stehe die Angst vor der Einvernahme anderer und die Angst, sich selbst zu verlieren. Und obwohl das Lügen moralisch verdammt würde, nütze es letztlich beiden Partnern. Dem einen bringe sie Freiheit, dem andern Schutz vor unnötiger Brutalität und die Beibehaltung der Illusion. Oder wie La Rochefoucauld sagte: «In der Freundschaft und in der Liebe ist man über jene Dinge, die man nicht weiss, glücklicher als über jene, die man weiss.»

Ist nur die Frage, wie man das seinen Kindern beibringen soll. Wahrscheinlich werden sie ja dann von selber drauf kommen, wenn man sie darüber ausfragt, wie es in ihrer Beziehung oder ihrer eigenen Familie so läuft. Denn manchmal ist es wohl schlicht höflicher zu lügen.

© Tages-Anzeiger/Mamablog


Zur Autorin
Michèle Binswanger ist Philosophin, Journalistin und Buchautorin. Sie schreibt zu Gesellschaftsthemen, ist Mutter zweier Kinder und lebt in Basel. Sie schreibt regelmässig für das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi.

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