Mit Eigensinn raus aus dem Corona-Blues! - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Mit Eigensinn raus aus dem Corona-Blues!

Lesedauer: 4 Minuten

Unsere Autorin Ulrike Légé ist mit ihren drei Kindern zuhause. Wie sie die Corona-Krise bewältigt und warum Eigensinn gerade jetzt so wichtig ist, verrät sie hier.

Autorin Ulrike Légé ist schon seit mehreren Wochen zu Hause in Isolation. In einem früheren Artikel beschreibt sie mit 10 Tipps, wie man in der Familien-Isolation einen kühlen Kopf bewahrt.
Seit ein paar Tagen habe ich das Gefühl, mein Leben entgleitet mir jeden Tag ein Stück mehr. Entscheidungen werden mir aus der Hand genommen, Freiräume werden eingeschränkt. Morgens alleine und in Ruhe arbeiten, nachdem alle aus dem Haus gegangen sind? Vorbei! Die Kinder nachmittags mit einem Haufen Freunde spielen zu lassen? Unverantwortlich! Mit meinem Mann abends in unserem Lieblingscafé auf dem Dorfplatz zu sitzen? Verboten! Einen Einkaufsbummel geniessen? Unmöglich!

Ich gestalte gar nicht mehr selbst, sondern reagiere nur noch auf das, was da draussen tobt. Ich versuche im Wirbel an neuen Informationen und widersprüchlichen Anforderungen nicht unterzugehen: Bitte Arbeitspläne fürs Homeschooling ausdrucken, gestressten Kindern helfen – aber dabei meine eigenen Deadlines nicht vergessen! Bitte nur selten einkaufen – aber nicht hamstern! Bitte frische Luft geniessen – aber niemandem zu nahe kommen! Bitte zuhause bleiben – aber keinen Lagerkoller kriegen!

Das ElternMagazin Fritz+Fränzi hat eine Solidaritätsaktion ins Leben gerufen. Wenn Sie kein Fritz+Fränzi-Abo besitzen, erhalten Sie unseren Ratgeber in unregelmässigen Abständen über die Schulen verteilt. Jetzt, wo die Schulen zu sind, schicken wir Ihnen unser Heft kostenlos und unverbindlich nach Hause. Alles, was Sie tun müssen, erfahren Sie hier: www.fritzundfraenzi.ch/gratis
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Und so langsam legt sich über meine Tage ein grauer Corona-Schleier. Ich bin schon mittags hundemüde, aber funktionieren muss ich trotzdem. Mein Kopf dröhnt, ich mag nichts mehr lesen, niemandem mehr zuhören, doch «Schotten runter» geht nicht als arbeitende Mutter. Versteht mich nicht falsch, ich weiss, dass jede neue Einschränkung ihren Sinn hat und ich halte sie ein. Aber es ist verflixt anstrengend. Zu Beginn der Krise war ich geschockt, dann verfiel ich in hektischen Aktivismus, um unseren neuen Alltag zu organisieren. Jetzt läuft er halbwegs rund und ich spüre den Corona-Blues.

Der Weg aus dem Corona-Blues

Der einzige Weg da raus führt über meinen Eigensinn. Nein, ich meine nicht, jetzt eigensinnig wieder am Rheinufer zu grillieren. Sondern meinem neuen, plötzlich so ganz anderen Leben wieder meinen eigenen Sinn zu geben. Nicht mehr nur auf das zu reagieren, was mir alles von aussen vorgegeben wird.

Ich muss mir in dieser grauen, eingeschränkten, isolierten Existenz ein paar bunte, selbstgestaltete Räume gewähren. Platz machen für kleine Herzensprojekte, statt nur Häkchen auf meine To-Do-Liste setzen. Ich mag und kann jetzt nicht noch die Garage aufräumen, frische Mottensäckchen verteilen oder Kinderschränke ausmisten. Worauf ich wirklich Lust habe, ist, endlich mal einen Sauerteig anzusetzen. Oder Sämlinge für den Garten in einem alten Eierkarton zu ziehen und eine Fantasy-Story für meine Kinder zu erfinden.

Die Sämlinge sind noch am Entstehen, Kresse ging schneller: Ulrike Légés jüngste Tochter ist stolz. (Bild: zVg)
Die Sämlinge sind noch am Entstehen, Kresse ging schneller: Ulrike Légés jüngste Tochter ist stolz. (Bild: zVg)
Es braucht einen gewissen Trotz. Ich muss mich bewusst gegen einiges entscheiden, was sicherlich vernünftiger wäre. Meine Vernunft brauche ich gerade auf, um all die neuen Verhaltensregeln umzusetzen und den Anforderungen der Corona-Krise gewachsen zu sein. Aber selbst wenn ich schon 48 Jahre alt bin: Meine Vernunft reicht nicht für 24 Stunden, sieben Tage die Woche!

Nur funktionieren geht nicht!

Neulich schoss mir abends im Bett das Bild durch den Kopf, wie ich mit 19 Jahren, hennaroten Haaren, mühsam ersparter Lederjacke und viel zu kurzen Shorts von zu Hause auszog. Mich ins bunte Uni-Leben stürzte und dann das Studium fast geschmissen hätte, um doch lieber Schauspielerin zu werden. Irgendwo in mir lebt sie ja noch, die bunte, quietschlebendige, trotzige, eigensinnige Ulrike. Die der Vernunft und dem, was man so tun muss, ausgesprochen gern den Mittelfinger zeigte. Sie gibt mir Kraft.

Mittlerweile gibt es einiges, was ich wirklich erledigen muss. Das habe ich in den letzten 30 Jahren gelernt. Wahrscheinlich viel zu gut gelernt und dabei das innere Kind mit dem Bad ausgeschüttet. Aber jetzt, mitten in der familiären Selbst-Isolation während der Corona-Krise, merke ich: nur funktionieren geht nicht! Ich muss auch wieder eigensinnig werden und auch so handeln. In den ganz kleinen Bereichen, wo das gerade ohne Risiko machbar ist. In ganz kleinen Schritten, ohne mich dabei noch mehr zu stressen.

Selbstwirksamkeit, sagen uns die Psychologen, ist eine wichtige Quelle von Resilienz. Wir spüren das, wenn wir selber aktiv werden, uns im Wirken und Schaffen erleben, und realisieren: Ich kann sogar in dieser Situation noch etwas gestalten. Etwas, das meinem Leben wieder Farbe, Lust und Sinn verleiht.

Elternsein im Ausnahmezustand: In unserem
Elternsein im Ausnahmezustand: In unserem Online-Dossier zur Corona-Krise finden Sie alle bisher erschienenen Artikel mit relevanten Themen für Familien. 

Und das soll ein Sauerteig, ein Sämling, eine Story können? Für mich schon. Für andere Menschen sind es sicher ganz andere Bilder, die Mut und Kraft zum Eigensinn geben. Ganz andere Projekte, die endlich wieder ein Gefühl von «Lust-darauf-haben» in Euch auslösen. Völlig egal, was es für Bilder, Ideen oder Projekte sind, spürt ihnen jetzt nach und setzt sie um! Trotzig, hartnäckig, in kleinen Schritten und flexibel. 
Das neue Familienmitglied der Familie Légé
Das neue Familienmitglied der Familie Légé
Auch unsere Kinder brauchen jetzt mehr Freiraum für Eigensinn. Selbst, wenn sie dabei sich selbst und unser Zuhause mal kräftig einsauen oder durcheinanderbringen. Dauernd nur zu hören «Du darfst dies nicht mehr – dafür musst Du jetzt aber das tun!», dauernd nur in der Krisenbewältigung zu funktionieren halten wir Erwachsene ja auch kaum durch. Einfach ja sagen hilft. Ja zu dem, worauf unsere Kinder so richtig Lust haben, so oft wir können. Ja, Du darfst eine Höhle bauen unter dem Esstisch! Ja, wir essen darin Abendbrot! Ja, wir gehen danach auf eine Nachtwanderung! Ihre Lust steckt uns oft noch an.

Bleibt alle eigensinnig und werdet selbstwirksam. Auch, wenn – nein, gerade weil das nicht halb so vernünftig ist, wie unser Corona-Familienleben perfekt durchzuorganisieren! Wir brauchen noch einen langen Atem. Dazu müssen wir Luft holen können und die Fenster aufreissen. In jedem Moment, den wir eigensinnig und aktiv gestalten, egal wie klein er ist, lassen wir frische Luft in unser stickiges Leben.

Ulrike Légé, ursprünglich aus Niedersachsen, lebt jetzt im Baselland, arbeitet Teilzeit für kleinere Unternehmen in Kommunikation und Strategie. Der grösste Teil ihrer Zeit und Liebe geht an die Familie; drei wuselige Kinder von 7, 11 und 13 Jahren, ein französischer Mann, und Hund Sunny. 
Ulrike Légé, ursprünglich aus Niedersachsen, lebt jetzt im Baselland, arbeitet Teilzeit für kleinere Unternehmen in Kommunikation und Strategie. Der grösste Teil ihrer Zeit und Liebe geht an die Familie; drei wuselige Kinder von 7, 11 und 13 Jahren, ein französischer Mann, und Hund Sunny. 


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