Besser als Sex - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Besser als Sex

Lesedauer: 2 Minuten

Eine Warnung: Dieser Text ist weder kontrovers noch besonders gehaltvoll. Ich schreibe dies in meiner Kaffeepause. Und das nehme ich zum Anlass, von einer nicht so geheimen, dafür umso leidenschaftlicheren Liebe zu berichten, die ich mit vielen, wenn nicht gar allen Müttern teile. Es geht um das, was für Frauen genauso wichtig ist wie Schuhe und also wichtiger als Sex. Es geht um den schwarzen Stoff der Leidenschaft: Kaffee.

Den Frauen ihren Kaffee wegzunehmen, hätte einen ähnlichen Effekt, als würde der Weltwirtschaft von heute auf morgen das Erdöl ausgehen: Stillstand aller Systeme, Gewalt, Chaos, Depression, Elend. Die westliche Hemisphäre wäre erledigt. (Hoffentlich lesen die Chinesen nicht mit.)

Es geht darum, morgens überhaupt hoch zu kommen. Und dann möglichst oben zu bleiben.

Kaffee interpunktiert unser tägliches Dasein, ist sozialer Kitt für die Desperate Housewives wie damals die Kaffeekränzchen meiner Mutter mit ihren Freundinnen, wo das bittere Getränk aus den selbst getöpferten Tässchen geschlürft wurde. Es kam mir vor, wie ein geheimer Initiationsritus.

Und bald schon schlürfte ich mit. Im frühen Stadium des Unwissens und der Unreife begnügte ich mich mit dem Kantinenkaffee meines Gymnasiums und später mit dem sauren Gebräu aus dem Selecta-Automaten, bis mein erster Freund, ein Portugiese, mich in die Welt von Galao, der portugiesischen Version des Latte Macchiato einführte. Dem ich verfiel und treu blieb, ungeachtet der heroischeren Exemplare meiner Freunde, die dem Kaffee dann und wann mit langen Predigten über dessen katastrophalen Auswirkungen auf die Gesundheit abschwören. Was wissen die schon? Und klar, es gibt sicher zahlreiche Studien, die so Erschreckendes zutage fördern wie, dass häufiger Kaffeekonsum die Brüste schrumpfen lässt.

Aber nicht einmal das kann einen eingefleischten Kaffeetrinker schrecken. Ich glaube, zu keinem anderen Thema werden so viele Studien gemacht, die sich allesamt zu widersprechen scheinen. Ich führe das darauf zurück, dass in der Frage einfach zu viel Leidenschaft im Spiel ist. Und darum geht es beim Kaffee. Das heisst, zunächst geht es vor allem darum, morgens überhaupt hoch zu kommen. Und dann möglichst oben zu bleiben.

Es geht um all jene, die aus dem Bett kriechen und sich in die Küche schleppen, um sich mit dem ersten Schluck Kaffee «Bing!» in die bezaubernde Jeanny zu verwandeln, bereit, der Welt entgegen und nötigenfalls in den Arsch zu treten. Und so freue mich morgens in der Hölle des Pendlerstroms heimlich ob all der latent am Rand des Burn-outs dahintorkelnden Frauen, vielleicht Mütter wie ich, die sich an ihren Bechern festklammern, sich eine ordentliche Koffeinspülung verpassen, auf dass der Körper seine Schwere verliert und die Koffein-High-Times sich einstellen, uns aufs Gleis hieven und empfinden lassen, dass wir doch etwas zustande kriegen. Unsere Arbeit. Unsere Familie. Unser Leben. Ein Gefühl, so flüchtig wie eine Schneeflocke in der Sonne, das sich aber subliminal manifestiert, wenn wir die Lippen im Schaum versenken, als würden wir einen Kuss von unserem Liebsten stehlen. Dafür nehmen wir in Kauf, mit unseren Pappbechern zum wandelnden «Sex-and-the-City»-Klischee verdammt zu sein.

Und so frönen wir Liebhaberinnen und Uns-selbst-Gönnerinnen der gesamten Palette, die da immer und überall im Angebot ist: Es gibt Zeiten für Cappuccino, der zu ausgedehntem Vorspiel mit Milchschaum und Kakao animiert, es gibt den kurzen, starken Quickie mit Espresso, es gibt den sanften Latte Macchiato, für den man sich Zeit nimmt. Aber irgendwann ist die Kaffeepause zu Ende, irgendwann hat man auch genug vom Kaffee, kommt heim, streift die Schuhe ab und ist froh, dass der Mann keinen Kaffee mehr trinkt. Und dass man sich also entspannen kann und dann denkt man nochmals darüber nach, ob Schuhe und Kaffee wirklich so wichtig sind.

© Tages-Anzeiger/Mamablog


Zur Autorin
Michèle Binswanger ist Philosophin, Journalistin und Buchautorin. Sie schreibt zu Gesellschaftsthemen, ist Mutter zweier Kinder und lebt in Basel. Sie schreibt regelmässig für das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi.

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