Holz aalänge! - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Holz aalänge!

Lesedauer: 2 Minuten

Unsere Kolumnistin Michèle Binswanger über Aberglauben und wie dieser Eltern durch die Pubertät hilft.

Ich liebe es, mit meiner Schwester zu diskutieren. Sie ist psychologisch geschult, mir zugeneigt und doch kritisch. Deshalb wende ich mich gern an sie, wenn Konflikte mir zu schaffen machen. Doch so rational sie denkt, so irrational ist diese eine Angewohnheit. Immer wenn von Dingen die Rede ist, die in Ordnung sind, aber leicht aus dem Lot geraten könnten, sagt sie beschwörend: «Holz aalänge, gäll!» Leider haben die meisten Dinge im Leben die Neigung, irgendwann aus dem Lot zu geraten, besonders wenn Kinder involviert sind. Und deshalb sagt meine Schwester das ziemlich oft. Neulich war ich mit ihr in unserem Haus am See. Wir machten den Garten winterfertig, rechten das Laub zusammen und stapelten Feuerholz, abends kochten wir und redeten vor dem warmen Holzofen. Ich erzählte ihr vom Sohn einer gemeinsamen Bekannten, der immer sehr verschlossen gewesen und von den Eltern angeregt worden war, sich mehr zu öffnen. Dann begann er sich plötzlich für weiche Drogen, lange Nächte und abenteuerliche politische Ideen zu interessieren, nicht genau das, was die Eltern sich vorgestellt hatten, doch das war ihm egal. Er ging auf Konfrontationskurs, begann sich abzuschotten und tauchte immer seltener überhaupt noch zu Hause auf. 

«Man weiss nie, was noch kommt. Und vielleicht bist du es ja, die wegen deiner Kinder eine zweite Pubertät durchlebt»

Die Eltern machten sich Sorgen, um seinen schulischen Abschluss, ihre Beziehung, seine Zukunft. Das erzählte ich der Schwester. «Es ist ja schon schlimm genug, was die Pubertät mit Kindern anstellt, aber ist es für die Eltern nicht fast noch schlimmer?», fragte ich. «Plötzlich ist das Kind, das du ein Leben lang gekannt hast, ein Jugendlicher, der dem Teufel vom Karren gefallen ist. Wie muss das für Eltern sein, die selber nie mit dem Teufel geritten sind? Zum Glück haben wir uns nie derart zerstritten.» «Holz aalänge», meinte die Schwester und warf ein Holzscheit ins Feuer. «Ausserdem sieht man von aussen schlecht in Familien hinein. Wir wissen ja nicht, wer in dieser Geschichte mit welchen Teufeln geritten ist.» 

«Ich glaube nicht, dass die Eltern etwas dafür können», entgegnete ich. «Ich hatte als Teenie ja weiss Gott auch meine Dämonen, und unsere Eltern waren sicher nicht schuld daran. Manchmal denke ich, ich hatte einfach grosses Glück, dass alles gut gegangen ist.» «Holz aalänge!», rief die Schwester und warf mehr Holz aufs Feuer. «Man weiss nie, was noch kommt. Und vielleicht bist du es ja, die wegen deiner Kinder eine zweite Pubertät durchlebt», sagte sie mit spöttischem Blick auf meine Turnschuhe. «Wenn auch vielleicht eher modisch.» «Holz aalänge!», rief ich panisch und warf einen ganzen Stapel Scheite in den Ofen, so dass wir vor dem Ofen zu schwitzen begannen. Dann sagte ich: «Vielleicht ist es am besten, wir bleiben einfach hier und holzen die paar Jahre durch, bis alle ihre Pubertät hinter sich haben. Mir scheint es jedenfalls am klügsten, einfach immer in Berührung mit Holz zu sein, bis das alles vorbei ist.» Sie antwortete: «Du hast recht. Man weiss nie, wie streng der Winter werden wird.»


Zur Autorin

Michèle Binswanger ist Philosophin, Journalistin und Buchautorin. Sie schreibt zu Gesellschaftsthemen, ist Mutter zweier Kinder und lebt in Basel. Sie schreibt regelmässig für das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi. Bestellen Sie jetzt unseren kostenlosen Newsletter.