Bubenmütter nahe am Nervenzusammenbruch - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Bubenmütter nahe am Nervenzusammenbruch

Lesedauer: 3 Minuten

Wo liegen die Unterschiede zwischen Mädchen- und Bubenmüttern? Michèle Binswanger erklärt, warum Jungs zu erziehen einer Downhillstrecke gleicht. 

Text: Michèle Binswanger

Das Wichtigste zum Thema

Michèle Binswanger spricht aus Erfahrung und sagt, dass es durchaus einen Unterschied macht, ob man Mädchen oder Buben erzieht. So zeigt sich bereits im Säuglingsalter wie Jungs ticken. Sie trinken ihren Milchschoppen schneller als Mädchen und wollen mehr. Bevor sie sprechen können, unterscheiden sie bereits Automodelle – besonders Fahrzeuge, die auf Baustellen benötigt werden und lassen sich von Baggern und Betonmischern beeindrucken.

Erkenntnisse von Michèle Binswanger in der Erziehung von Buben:

  • Während Mädchenmütter die Probleme, Sorgen und Nöte ihrer Töchter instinktiv nachvollziehen können, haben die Bubenmütter eine ganz andere Reise vor sich.
  • Als Bubenmutter kann man sich noch so anstrengen, am Ende wird der Sohn sich den Papa zum Vorbild nehmen. 

Die vollständige Kolumen von Michèle Binswanger mit weiteren Ein- und Aussichten zum Thema Erziehung von Buben lesen Sie hier.

Im Überschwang der Vorfreude auf baldigen Nachwuchs antwortet so manch Schwangere auf die Frage, ob sie sich ein Mädchen oder einen Jungen wünsche: Ach, das spielt doch keine Rolle, Hauptsache das Kleine ist gesund.

Aber Irrtum. Es spielt sehr wohl eine Rolle. Jungsmütter sind anders als Mädchenmütter, oder besser: Sie müssen mit ganz anderem fertig werden. Ich hatte nun jahrelang Zeit, das Ganze zu beobachten. Ich kenne beide Typen, ich konnte über Jahre verfolgen, womit sie es zu tun haben. Und ich habe selber ein Mädchen und ein Bub zu Hause. Und ich bin zu folgendem Schluss gekommen: Wäre Erziehung ein Velorennen, dann radelten Mädchenmütter schön ordentlich im Rennbahn-Oval eines Sechstagerennens. Bubenmütter dagegen haben eine halsbrecherische Downhillstrecke vor sich. Wobei noch nicht einmal der Kurs definiert ist.

Klar ist immerhin: Vor ihnen liegt die holprige Aufgabe, ihre Söhne auf die vielfältigen Anforderungen einer emanzipierten Gesellschaft vorzubereiten. In der die Position des echten Kerl, des männlichen Mannes vakant ist, oder zumindest nur ein diffuses Pflichtenheft hat. 

Es beginnt wie in der Philosophie: mit Staunen. Darüber, wie der Bub sich schon im Mutterleib so heftig bewegt, dass er kaum auf Ultraschall zu bannen ist. Dass er später seinen 250ml Schoppen in der Manier eines Biertrinkers leert und ihn mit dem Wunsch nach mehr auf den Tisch knallt. Staunen, dass er zwar noch kein Wort spricht, aber offensichtlich schon präzis verschiedene Kategorien von Motorfahrzeugen unterscheidet, insbesondere jene, die auf Baustellen anzutreffen sind. Wo er sich im Übrigen stundenlang in den Anblick von Baggerschaufeln und Betonmischer vertiefen kann. Die Verwunderung über die scheinbar im männlichen Gencode verschlüsselten Informationen ist unerschöpflich.

Bubenmütter sind anders angezogen: In Stilettos rast es sich nun mal schlecht zum Unfallort, ganz zu schweigen von den verheerenden Blutflecken, die Missgeschicke auf edler Garderobe hinterlassen.

Als Kind wäre ich auch gern ein Junge gewesen, denn Jungs – und gelegentlich gesellen sich auch Mädchen dazu, wie ich begriff, tun interessante Dinge. Sie erleben Abenteuer. Sie gehen Risiken ein. Das geht nicht immer gut, wie sich schon im Kleinkindalter zeigt, wenn Buben mit Vorliebe mit den Zähnen voraus in den Bordsteinrand fräsen, mit dem Schlitten durch den Stacheldraht rasen oder rücklings vom Hochbett donnern, während die Mädchen sich darüber streiten, wer der Mutter erzählen muss, dass man der Puppe die Haare abgeschnitten hat. Diese Unterschiede sind übrigens auch der Grund ist, warum Bubenmütter oft etwas Burschikoses anhaftet. In Stilettos rast es sich nun mal schlecht zum Unfallort, ganz zu schweigen vom den verheerenden Blutflecken, die solche Missgeschicke auf edler Garderobe hinterlassen.

Natürlich können Mädchen ebenso verunfallen oder sich die Hände zu einer blutigen Masse schnitzen im Versuch, aus einem Stöckchen eine Flöte zu basteln. Aber sie legen es einfach weniger drauf an.

Trotzdem ist es toll, eine Bubenmutter zu sein, auch wenn man sich allfällige romantische Vorstellungen von späterem trauten Tausch von Kleidern und Kosmetika mit dem Nachwuchs abschminken muss. Denn immerhin lassen uns die Jungs, zumindest anfangs, an ihren Vorstellungen in rührender Naivität Teil haben. Wenn sie etwa von ihrem glühenden Wunsch erzählen, einmal als Krieger ganz viele Feinde töten zu dürfen. Oder wenn sie uns versichern, dass sie uns vor eben jenen Feinden beschützen werden, wenn wir einmal alt sind. Das holt uns das immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurück: nämlich dass die Menschen und insbesondere das andere Geschlecht ein Rätsel sind.

Das zeigt sich auch, wenn es darum geht, den Sohn mittels Erziehung glücklich in die Gesellschaft einzufädeln. Wie eine kleine Feldforschung im Nahmütterbereich zeigt, ist das eine der grossen Herausforderungen. Denn während Mädchenmütter die Probleme, Sorgen und Nöte ihrer Töchter instinktiv nachvollziehen können, haben die Jungs eine ganz andere Reise vor sich. Eine, auf die wir Frauen vielleicht einen Einfluss haben, auch wenn wir nie erfahren werden, welchen. Letztlich können wir Mütter uns noch so sehr anstrengen, am Ende wird der Sohn sich den Papa zum Vorbild zu nehmen. Und das ist, trotz allfälligem gekränktem Narzissmus, gut so.

Michèle Binswanger
Die studierte Philosophin ist Journalistin und Buchautorin. Sie schreibt zu Gesellschaftsthemen, ist Mutter zweier Kinder und lebt in Basel.

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