Anatomie einer Trennung - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Anatomie einer Trennung

Lesedauer: 2 Minuten
Niemand weiss, wann der richtige Zeitpunkt zur Trennung ist. Hat man Kinder, schiebt man diesen Gedanken ohnehin gern zur Seite. Man erhöht die Schmerzgrenze, schluckt vieles, nimmt auch das eigene Unglück in Kauf. Und fragt sich immer: Wie lange noch? Hört es nie auf? Werde ich je wieder glücklich? Man hält durch für die Kinder. Weil jede andere Lösung ebenso unbefriedigend wäre. Denn auch getrennt hat man ja die Kinder zusammen. There’s no easy way out.

Ich habe mich dann trotzdem getrennt, nach langem Leiden. Jahrelanger Beziehungskrise. Weil ich permanent gestresst und unglücklich war und dieser Stress mich krank machte. Ich hätte trotzdem nicht aufgegeben – bis er eines Tages sagte: «Ich ziehe aus.» Ich war erleichtert. Selber hätte ich den Schritt nie gewagt. Jetzt konnte ich ihm in seiner Entscheidung folgen.

Wir teilten die Kinderbetreuung hälftig, und die Kinder nahmen es gelassen, freuten sich sogar über den zweiten Wohnsitz. Auch mir ging es die erste Zeit gut, sogar blendend. Freiheit, süsse, süsse Freiheit. Sie war wie ein frischer Lufthauch, der in ein seit über zehn Jahren nicht mehr gelüftetes Zimmer dringt.

Nach und nach sank die Realität in meinen magisch verzückten Freiheitsrausch ein. Es zeigte sich, dass wir keine gütliche Trennung fertigbringen würden. Wir stritten permanent per E-Mail und Chats. Ich versuchte, das tägliche Leben zu meistern, meinen Job, meine Kinder, meine Freundschaften auf die Reihe zu kriegen. Und den Frieden zu wahren. Aber eine Trennung ohne schlechte Gefühle ist wahrscheinlich so, als wollte man einen Körper schneiden, ohne dass er blutet. Nur bei einer Leiche möglich.

Meine beiden Kinder waren sehr auf Ausgleich bedacht. Kam die Rede auf den Vater, betonten sie, sie hätten uns beide genau gleich gern. Aber manchmal fragte ich mich heimlich, ob sie ihn nicht vielleicht sogar noch lieber hatten. Zu den Schamgefühlen kam jetzt gelegentlich noch Eifersucht. Wahrscheinlich war er sogar der bessere Vater, als ich ihnen eine Mutter war. Doch ich wusste, dass solche Gedanken Gift sind und keinen Sinn machten, und versuchte tunlichst, mir nichts anmerken zu lassen.

Ich schützte Normalität vor in der Hoffnung, dass sich irgendwann Normalität einstellen würde. Aber das dauerte. Und es zeigten sich zahlreiche Probleme: Da die Freunde alle zu ihm hielten, musste ich mir ein neues Umfeld aufbauen. Mein Sozial-, mein Erwerbs- und mein Leben als Mutter und Single zu synchronisieren, erwies sich als schwieriger, als ich gedacht hatte.

Der Druck, die Versagensängste, die Scham und die Schuldgefühle – das alles konnte ich mit der Zeit überwinden. Nur eines nicht: ein fundamentales, unwiderrufliches Gefühl des Scheiterns. Die Trauer um meine zerbrochene Familie, die niemals wieder ganz sein wird. War die Trennung richtig? Ich glaube ja. Es geht mir heute besser als vorher, und zurück möchte ich auch nicht. Die Kinder sind glücklich und ich auch. Diesen Vorteil immerhin hat eine Trennung gegenüber einer Beziehung. Beziehungen fangen irgendwann an zu bröckeln, aber eine Trennung wird immer besser, von Jahr zu Jahr.


Michèle Binswanger

Die studierte Philosophin ist Journalistin und Buchautorin. Sie schreibt zu Gesellschaftsthemen, ist Mutter zweier Kinder und lebt in Basel.