Warum Kinder das Gamen nicht lassen können - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Warum Kinder das Gamen nicht lassen können

Lesedauer: 4 Minuten

Uns Eltern fällt es besonders schwer, unvoreingenommen und wertfrei über Computerspiele zu sprechen. Schon immer haftete diesem Medium ein schlechter Ruf an. Kinder, so hiess es, würden durch Gaming vereinsamen und zu sozial inkompatiblen Einzelgängern heranwachsen. Games drohten sie dick, faul und dumm zu machen, ja sogar das kindliche Gehirn zu löschen. Die sogenannte Killerspiel-Debatte attestierte Gamern ein besonders aggressives Verhalten. Das brutale Spiel würde als Training für einen Amoklauf dienen, weil es gezielt die Tötungshemmung abbaue. Heute warnen die Medien beständig vor der Computerspielsucht bei Kindern und Jugendlichen. Da trägt es nicht gerade zur Beruhigung der Eltern bei, wenn Psychologen das Spiel «Fortnite» mit Heroin vergleichen. Natürlich gibt es Risiken, aber sie lassen sich durch Erziehung und der altbekannten Binsenwahrheit «die Dosis macht das Gift» in den Griff bekommen. Eine Kindheit ohne Videospiele wäre zwar möglich, aber sehr unrealistisch.

Seitdem es digitale Spiele gibt, ziehen sie Kinder magnetisch an: Vom klassischen Arcadeautomaten mit Münzeinwurf über den mausgrauen Gameboy bis heute mit Apps auf dem Smartphone. Kinder spielen liebend gern und erwerben fast nebenbei eine Vielzahl von Kompetenzen (mehr dazu in Teil 2 dieser Serie zum Thema «Welche Chancen bieten Games?»). Spielen an sich zählt sogar zu den elementaren Kinderrechten der UN-Resolution. Und Gaming, also das Spielen mit digitalen Medien, ist heute unbestreitbar ein fester Bestandteil der Kinder- und Jugendkultur. Das bestätigt 2019 auch die letzte MIKE-Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), in der Kinder zwischen 6 und 13 Jahren befragt wurden: «Die beliebteste Freizeitaktivität mit Medien ist das digitale Spielen: das Gamen.»

Was Kinder von Games bekommen

Kein Wunder, denn in Games haben Kinder alleine die Macht, während sie sonst zu Hause oder in der ­Schule eher selten etwas bestimmen dürfen. Das funktioniert zwar auch im ­freien Spiel, aber Games liefern dazu Bilder und Erfolgsmeldungen. Videospiele sind zudem das einzige Unterhaltungsmedium, in dem Kinder und Jugendliche das Geschehen aktiv steuern und beeinflussen können. Sie schlüpfen in Rollen unterschiedlichster Heroen und dürfen alles tun, was ihnen in der Realität verwehrt bleibt: Rennen fahren, Wirtschaftsimperien hochziehen oder Monster besiegen.

Zudem hat das digitale Spiel selbst keine Konsequenzen für das echte Leben. Stürzt der Protagonist in die Tiefe, folgt statt Gipsbein oder Tod gleich der nächste Versuch.
 Aus Kindersicht mögen all diese Vorzüge ganz wunderbar sein. Aus reiner Elternsicht lassen sich die erzieherischen Herausforderungen nicht verleugnen.

Spiele fordern erzieherisch heraus

Die meisten Mütter und Väter haben die Nachteile der Faszination und die damit verbundenen Konflikte schon hautnah erlebt: Digitale ­Spiele vermögen Kinder und Jugendliche dermassen tief in ihren Bann zu ziehen, dass sie jegliches Zeitgefühl verlieren. Weil sie deshalb kein Ende finden, führt das mit den Eltern zu Streit und enervierenden Diskussionen. Das gab es schon beim Fernsehen. Aber spätestens wenn das Kind einen heftigen Wutanfall bekommt, weil es an einem kniffligen Level zum x-ten Mal gescheitert ist, fragen wir uns, ob Games nicht doch Schaden anrichten.

Serie: Computergames

Kaum etwas hat auf Jugendliche eine so grosse Sog­wirkung wie Computerspiele. Worin liegen die Faszination und die Chancen? Welche Gefahren birgt das Zocken am Computer und wie schützen wir unsere Kinder davor?

Problematisch ist es auch, wenn Kinder Games spielen, die nicht für ihr jeweiliges Alter gemacht sind. «Das beliebteste Game 2019 war das Koop-Survival-Spiel Fortnite», heisst es ebenfalls in der MIKE-Studie. Und: «Dieser Befund ist insofern überraschend, weil das Game offiziell erst ab 12 Jahren empfohlen wird und die meisten befragten Kinder dieses Alter noch nicht erreicht haben.» In der JAMES-Studie 2020 der ZHAW räumte rund ein Viertel der Befragten ein, sich nicht an die Altersbeschränkungen zu halten. Das deckt sich mit meinen Erfahrungen, wenn mir Primarschüler kenntnisreich von Spielen berichten, die erst ab 18 Jahren freigegeben sind. Während früher spätestens an der Ladenkasse der Verkauf solcher Spiele an sie unterbunden wurde, lässt sich das heute durch Downloads umgehen. Auch rein technisch ist es für Eltern nicht gerade einfach, den Überblick zu behalten.

Die «Netflixierung» von Games

Gespielt wird heute mit Computern, Konsolen, Tablets, Smartphones, Sprachassistenten wie Alexa. Das Internet hat hier den stationären Handel ausgehebelt. Apps gibt es nur online in den App Stores. Fast alle PC- und Konsolenspiele können direkt über Playstation, Switch und Xbox gekauft und heruntergeladen werden. Für PC-Spiele hat sich die Internet-Vertriebsplattform Steam etabliert. Ähnliche Angebote gibt es unter anderem von GOG, Epic Games Store oder Humble Bundle.

Neuerdings geht der Trend zur «Netflixierung» der Gameswelt, in der Spiele für einen festen Obolus gestreamt werden. Bereits rund ein Fünftel der in der aktuellen JAMES-Studie befragten Jugendlichen verfügen über ein solches Abo. Vor allem die Big Player wie Apple, Google und Amazon sind hier am Start. Bislang wenig überzeugend.

Ohne Erziehung geht es nicht

Es spricht nichts gegen Computerspiele, solange wir die Alterskennzeichen berücksichtigen und darauf achten, was und wie lange Kinder spielen. Nicht umsonst rät die WHO davon ab, Kinder allzu lange am Rechner sitzen zu lassen. Oft fällt es uns aber schwer, Grenzen zu setzen – auch, weil wir uns inhaltlich und technisch nicht gut genug auskennen. Daran hoffe ich mit dieser Serie etwas ändern zu können. Keine ­Sorge, niemand muss alle Spiele selbst ausprobieren. Aber sich gut genug damit auskennen, um Grenzen setzen zu können. Kurz: Wir müssen uns nicht für die Spiele interessieren, sondern für unsere Kinder.


Kriterien für Eltern

  • Altersangaben beachten: Unter pegi.info können Sie den Namen eines Spiels eingeben, um dessen Alterseinstufung zu sehen.
  • Spielzeiten vereinbaren: ­Kontrollieren Sie verlässlich deren Einhaltung.
  • Gelassen bleiben: Wird an einem Tag mal länger gespielt, dann an einem anderen Tag weniger.
  • Haltung zeigen: Wenn Sie nicht wollen, dass Ihr Kind Gewaltspiele spielt, unterbinden Sie das mit einer nachvollziehbaren Begründung (wie «Krieg ist für mich kein Spiel»).

Die Serie

Kaum etwas hat auf Jugendliche eine so grosse Sog­wirkung wie Computerspiele. Worin liegen die Faszination und die Chancen? Welche Gefahren birgt das Zocken am Computer und wie schützen wir unsere Kinder davor? Alles, was Eltern übers ­Gamen wissen sollten, in einer sechsteiligen Serie.

Teil 1 Was wir über das Gamen wissen müssen Teil 2 Welche Chancen bieten Games?Teil 3 Lernen mit GamesTeil 4 Wie gefährlich sind Games?Teil 5 Welche Schutzmassnahmen gibt es bei Games?Teil 6 Good Games, bad Games – diese Spiele können wir empfehlen