«Wer jung mit Kiffen beginnt, hat ein Problem» - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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«Wer jung mit Kiffen beginnt, hat ein Problem»

Lesedauer: 6 Minuten

Suchtexperte Oliver Berg über die Wirkung von Cannabis auf unseren Körper, was es mit dem Gehirn macht – und warum er die Legalisierung befürwortet.

Interview: Virginia Nolan
Bild: Herbert Zimmermann / 13 Photo

Das Wichtigste zum Thema

  • Wenn Kinder und Jugendliche mit 12 oder 13 Jahren bereits kiffen, hat dies laut Forschung einen negativen Einfluss auf das Gehirn. Erst mit dem 21. Lebensjahr ist die Entwicklung des Organs abgeschlossen. Deshalb kann der Konsum bis dahin schwerwiegende Folgen für die kognitiven Fähigkeiten der jungen Konsumenten und Konsumentinnen haben.  
  • Suchtexperte Oliver Berg erklärt, wer besonders anfällig ist, eine Sucht zu entwickeln und wie man dieser Gefahr entgegenwirken kann
  • Welche gesundheitlichen Folgen kann das Kiffen haben? Panikattacken oder Psychosen sind nur zwei von mehreren Beispielen. Das Gefährliche: Bei Cannabis weiss man bis heute noch nicht, wie viel davon wirklich schädlich ist. 
  • Erfahren Sie im Interview auch, wie lange Cannabis im Körper wirken kann. Es ist unter Umständen weit länger im Urin zu finden, als Sie dachten. 
  • Ein 16-jähriger KV-Lehrling gibt Auskunft: Anhand eines Beispiels aus der Praxis erhalten Sie einen kleinen Einblick in die Gedankenwelt eines Jugendlichen, wenn es um das Thema Cannabis geht. 

Herr Berg, Sie arbeiten mit Jugendlichen, die mit Kiffen aufhören oder ihren Konsum mässigen wollen. Was motiviert sie dazu?

Viele kommen, weil die Eltern, Lehrer oder Arbeitgeber sie auffordern, ihren Konsum in den Griff zu kriegen. Immer mehr Jugendliche melden sich allerdings von sich aus, weil sie selbst merken, dass etwas schiefläuft. Eltern begegnen ihren Kindern weniger vorwurfsvoll als früher. Die meisten fordern von ihnen keine Abstinenz, sondern einen massvollen Umgang mit Cannabis.

Was würden Sie als massvollen Konsum bezeichnen?

Bei Alkohol wissen wir, welche Menge unbedenklich oder gesundheitsschädigend ist. Für Cannabis fehlen solche Richtwerte. Sicher scheint, dass im Alter vor 15 Jahren so wenig wie möglich konsumiert werden sollte. Wenn Personen in diesem Alter schon kiffen, ist es wichtig, dass sie drei bis vier konsumfreie Tage pro Woche einlegen. Heikel wird es, wenn Jugendliche auf Cannabis angewiesen sind, um ein positives Erlebnis zu haben, oder wenn sie kiffen, um mit den Anforderungen des Alltags zurechtzukommen. Die Anfälligkeit für ein Suchtverhalten hängt, vereinfacht gesagt, von unserer Biologie und dem sozialen Kontext ab, in dem wir leben. Gute psychische Gesundheit und ein solides Umfeld sind Schutzfaktoren.

Wie schadet Kiffen der Gesundheit?

Wird es geraucht, verursacht Cannabis ähnliche Krankheitsbilder wie Tabak: Es kann zu Herzkreislaufproblemen und hohem Blutdruck führen, beeinträchtigt die Spermienqualität und schädigt die Lunge. Mögliche Folgen davon sind Kurzatmigkeit, chronischer Husten, Bronchitis und Lungenkrebs. Egal jedoch, in welcher Form wir Cannabis konsumieren – die Forschung geht davon aus, dass es bei Jugendlichen, die früh, also mit 12, 13 Jahren mit dem Kiffen anfangen, einen negativen Einfluss auf die Gehirnentwicklung haben kann.

Inwiefern?

Unser Gehirn besitzt eine Reihe von Rezeptoren für körpereigene Cannabinoide, die vergleichbare Eigenschaften haben wie die gleichnamigen Wirkstoffe aus der Hanfpflanze. Diese Ähnlichkeit macht es möglich, dass Cannabinoide aus der Pflanze an unsere Rezeptoren andocken, wenn wir Cannabis konsumieren. Studien legen nahe, dass dies den Aufbau von Nervennetzwerken im Gehirn beeinträchtigen kann, sofern die Entwicklung des Gehirns noch nicht abgeschlossen ist – und diese dauert bis zum 21. Lebensjahr. Kiffen im frühen Jugendalter könnte die kognitiven Fähigkeiten darum dauerhaft einschränken.

Dann hat es etwas auf sich mit dem Mythos, dass Kiffen dumm macht?

In dieser Frage sind sich Studien uneinig, eine widerlegt die andere. Forscher gehen im Moment davon aus, dass kognitive Leistungseinbussen bei Erwachsenen reversibel sind, dass Kiffer allfällige Mängel also wie der wettmachen können, wenn sie den Konsum einstellen. Es gibt Hinweise darauf, dass mit bleibenden Einschränkungen rechnen muss, wer vor dem 15. Lebensjahr mit regelmässigem Kiffen anfängt. Ob und in welchem Mass Cannabis diese Einschränkungen verursacht, ist jedoch nicht abschliessend geklärt.

Cannabis soll auch die Psyche beeinträchtigen.

Es kann Angst- und Panikattacken, Psychosen, Depressionen oder Konzentrationsstörungen auslösen. Das Cannabis, welches heute im Umlauf ist, hat einen viel höheren Anteil an psychoaktivem THC, das ist der Wirkstoff, der den Rausch auslöst. Manchmal sind es fast 25 Prozent. Der Wirkstoff Cannabidiol hingegen, der Psychosen entgegenwirkt, ist über die Jahre fast herausgezüchtet worden. Das kann die Gefahr für akute psychotische Symptome erhöhen, wenn jemand anfällig dafür ist.

Was heisst anfällig in diesem Zusammenhang?

Es muss eine sogenannte Vulnerabilität vorliegen, eine Verwundbarkeit. Gründe dafür können die genetische Veranlagung für eine psychische Erkrankung oder bereits aufgetretene psychische Probleme sein. Wir wissen etwa, dass Kiffen bei Schizophrenie- Patienten den Krankheitsverlauf verschlechtern und bei genetischer Veranlagung das Risiko, an einer Schizophrenie zu erkranken, erhöhen kann. Cannabis kann zudem, wie alle psychoaktiven Substanzen, zu einer Intoxikationpsychose führen. Das ist ein Zustand, der Bewusstseins- und Verhaltensstörungen auslöst. Die Symptome klingen wieder ab, sobald der Körper die Substanz abgebaut hat. Cannabis kann die Psyche beeinträchtigen – aber bei Jugendlichen ist es schwierig, darüber zuverlässige Aussagen zu machen.

Warum?

In der Pubertät kommt vieles zusammen. Jugendliche müssen heute mit viel Druck umgehen können, dazu kommen alterstypische Probleme wie Liebeskummer und Stimmungsschwankungen. Manche leiden so stark, dass sich die Grenze zwischen einer pubertären Erscheinung und einer beginnenden psychiatrischen Erkrankung verwischt. Die Dinge sind nicht einfach voneinander abzugrenzen, vor allem für Eltern. Typischerweise neigen Jugendliche in Problemlagen auch eher dazu, auf eine Substanz zurückzugreifen, damit sie sich besser fühlen. Das gilt übrigens auch für Personen, die an der Aufmerksamkeits-Hyperaktivitätsstörung leiden. 

Das heisst, ADHS-Patienten sind suchtgefährdet?

Studien zeigen deutliche Zusammenhänge, dass eine ADHS-Symptomatik Einfluss auf das Risiko einer Suchtentwicklung hat. Bei betroffenen Jugendlichen, die dann Cannabis konsumieren, wird das ADHS aber oft verkannt – weil Cannabis einen beruhigenden Effekt hat und die klassischen Symptome der Krankheit kaschiert.

Cannabis gilt auch als Heilmittel.

Die Hanfpflanze hat über 450 verschiedene Wirkstoffe. 70 davon sind sogenannte Cannabinoide. Bisher arbeitet die Medizin vor allem mit THC und dem nur schwach psychoaktiven CBD. Es kommt darauf an, in welcher Dosierung und Kombination die Wirkstoffe eingesetzt werden. Cannabis wird mittlerweile für die Behandlung einiger Erkrankungen verwendet, zum Beispiel als krampflösendes Medikament bei Multipler Sklerose, gegen chronische Schmerzen oder bei erhöhtem Augeninnendruck.

Wie lange wirkt Cannabis im Körper? 

Wenn jemand täglich kifft und dann aufhört, ist der Konsum in gewissen Fällen bis zu drei Monate lang im Urin nachweisbar. Bei seltenem Gebrauch sollte der Körper die Substanz nach zwei bis drei Tagen abgebaut haben. Darauf kann man sich aber nicht verlassen. Cannabis ist fettlöslich und wird in den Fettzellen gelagert. Es kann auch nach längerer Zeit reaktiviert werden, zum Beispiel beim Sport. Dann kann es sogar sein, dass jemand, der drei Monate lang nichts konsumierte, positive Urinwerte hat – Pech, wenn er dann in eine Polizeikontrolle gerät.

Wie bewerten Sie das Anliegen der Legalisierung von Cannabis?

Ein staatlich kontrollierter Verkauf unter strengen Vorgaben böte aus fachlicher Sicht nur Vorteile. So könnte zum Beispiel – analog den Vorschriften für Alkohol oder Tabak – der THC-Gehalt von Cannabisprodukten gesetzlich limitiert werden. Die Regulierung durch den Staat hätte auch den Vorteil, dass die verkaufte Ware sauber wäre und nicht durch gesundheitsschädigende Streckmittel verunreinigt. Wir könnten dem Jugendschutz viel effektiver gerecht werden als heute, wo Konsumenten auf den illegalen Markt zurückgreifen.
Zur Person:

Oliver Berg ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Zu seinen Spezialgebieten gehört auch der Bereich Adoleszenz und Sucht. Berg ist ärztlicher Leiter im Arud- Zentrum für Suchtmedizin in Horgen ZH und präsidiert die Ärztegruppe Fachkommission für Heroingestützte Behandlung des Bundesamtes für Gesundheit.

«Ich kiffe, weil es Spass macht». Ein Erfahrungsbericht. 

KV-Lehrling Marco, 16, ist Gelegenheitskiffer. Manchmal raucht er wochenlang nicht. 

«Zum ersten Mal gekifft habe ich mit 14 im Schullager. Ich spürte fast nichts. Beim zweiten Anlauf ein paar Monate später klappte es besser, es war sehr lustig. Ich bin Hip-Hop-Fan, und bei Rappern ist Marihuana ein Riesenthema. Das allein wäre für mich kein Grund zum Kiffen: Mitmachen, weil es dazugehört. Gruppendruck zieht bei mir nicht. Ich kiffe, weil es Spass macht.

Letzthin waren wir an einer Hip-Hop-Party. Dann läuft diese geile Musik, deine Freunde sind da, alle sind ein bisschen high, jeder tanzt – da spürst du es einfach voll, wenn du weisst, was ich meine. Das ist unbeschreiblich. Eine Zeit lang hatte ich es übertrieben, mehrmals unter der Woche gekifft. Ich machte mir deswegen nicht wahnsinnig Gedanken. Aber da war nun doch häufiger der Drang, eins zu rauchen, das stresste mich. Zudem muss ich das Kiffen vor meinen Eltern verstecken. Das bereitete mir ein schlechtes Gewissen. Also reduzierte ich.

«Das Klischee des antriebslosen Kiffers stört mich»

Heute kiffe ich manchmal wochenlang nicht. Jetzt, da ich in der Lehre bin, könnte ich es mir anders auch nicht leisten. Ich glaube, meine Mutter ist mir auf die Schliche gekommen. Bis jetzt hat sie mich aber nicht aufs Kiffen angesprochen, ich hoffe, dass das so bleibt. Nur schon beim Gedanken an eine Familiensitzung zum Thema ergreife ich die Flucht. Ich gebe meinen Eltern auch keinen Anlass zur Sorge: Ich war ein guter Sekundarschüler, auch jetzt in der Lehre läuft es rund, und körperlich bin ich im Schuss.

Das Klischee des antriebslosen Kiffers stört mich. Wenn mein Kumpel Flurin und ich kiffen, wollen wir auch was erleben. Wenn wir nicht in den Ausgang gehen, suchen wir draussen einen Platz fürs Zusammensitzen, statt mit dem Joint auf dem Sofa herumzuhängen. Das ist uns zu dumm.»

Virginia Nolan
ist Redaktorin, Bücherwurm und Wasserratte. Sie liebt gute Gesellschaft, feines Essen, Tiere und das Mittelmeer. Die Mutter einer Tochter im Primarschulalter lebt mit ihrer Familie im Zürcher Oberland.

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