Dicke Luft im Klassenzimmer - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Dicke Luft im Klassenzimmer

Lesedauer: 3 Minuten

Für eine Studie begleitete ein Arzt drei Lehrpersonen während ihrer Arbeit. Ziel war es, die Lehrtätigkeit und den Arbeitsplatz aus Sicht der Arbeitsmedizin und -psychologie zu beobachten und zu beschreiben. Die Resultate sind beunruhigend.

Um es vorwegzunehmen: Eltern wissen es genauso wie die BetreuerInnen in Kindertagesstätten: Das Zusammensein mit Kindern ist bereichernd und beglückend, aber
auch fordernd und anstrengend. Genauso ist es für die Lehrerinnen und Lehrer. Doch wie sieht das aus Sicht eines Mediziners aus? Der Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz
(LCH) hat die Arbeitsbelastung von Lehrpersonen durch das Institut für Arbeitsmedizin ifa beobachten und messen lassen. Die Ergebnisse wurden mit Vorgaben des Arbeitsgesetzes
sowie der für alle Berufe geltenden Bau- und Gesundheitsnormen verglichen. Die Untersuchung zeigte, dass der Lehrberuf eine Vielzahl von psychosozialen Belastungen aufweist und die Arbeitsräume teils erhebliche Mängel aufweisen.

Zu kurze Pausen und mangelnde Rückzugsmöglichkeiten

Was verursacht also konkret Stress und Belastung bei Lehrerinnen und Lehrern? Die Ergebnisse zeigen deutlich: Psychosoziale Faktoren wie die Häufigkeit der Interaktion zwischen Lehrpersonen und Schülerinnen und Schülern, die fehlenden oder zu kurzen Pausen, die mangelhaften Rückzugsmöglichkeiten und die ständige Erreichbarkeit machen
den Lehrberuf anstrengend und belasten die Lehrerinnen und Lehrer teilweise sehr.

So notierten die Fachpersonen des Instituts für Arbeitsmedizin ifa in Baden bei einer Kindergartenlehrperson während ihrer Arbeit über 200 Interaktionen pro Stunde.
Gleich hohe oder höhere Werte erzielen nur wenige Berufsleute, so etwa der Billettkontrolleur im Zug oder die Angestellte eines Takeaway- Stands zu Stosszeiten. Die Interaktionen
bei diesen Berufen sind jedoch bei Weitem nicht so komplex. Interessant ist auch der Unterschied, wenn nur die halbe Klasse anwesend ist: Die Interaktionen halbieren
sich nicht, sondern sind mit 70 deutlich geringer als die Hälfte.

Keine Pause: Gerade im Kindergarten müssen Kinder durchgehend beaufsichtigt sein.

Mit mehr als einer Kontaktaufnahme pro Minute ist die Interaktionsdichte zwar nach wie vor beachtlich, aber deutlich geringer als bei vollzähliger Klasse. Im Englischunterricht in einer Primarklasse wurden sogar 276 Interaktionen pro Stunde gemessen. Nicht verwunderlich, ist
doch der Fremdsprachenunterricht an der Primarschule stark auf das Mündliche ausgerichtet.
Auch wenn es unzählige Witze über Lehrer und ihre vielen Pausen gibt: Gerade für Lehrpersonen sind erholsame Pausen während der Unterrichtstage rar.

Rückzugsmöglichkeiten sind oft gar nicht gegeben. Gerade im Kindergarten müssen die
Kinder meist durchgehend und pausenlos beaufsichtigt sein, auch während dem Znüni.
Darum sind «Znünipausen» sicher keine Pausen für Kindergartenlehrpersonen. Bei einem derart intensiven Arbeitsalltag wären aber ein kurzer Gang nach draussen und die Möglichkeit, sich kurz zurückzuziehen, unabdingbar. Andernfalls entstehe eine ungünstige und ermüdende Dauerbelastung im Arbeitsleben, erklären die Arbeitsmediziner. 

Es gibt zwar Vorschriften, wie viel Platz einem Geissbock im Stall einzuräumen ist, nämlich 3,5 Quadratmeter. Wie viel Raum für Kinder und Lehrpersonen im Schulzimmer zurVerfügung stehen sollte, damit ein lernförderndes Klima gewährleistet werden kann, ist jedoch nicht geregelt. Sie befinden sich im Schulzimmer und merken es nicht einmal: Aber die CO2-Konzentration nimmt rasch zu und die Raumluftqualität verschlechtert sich. Auch wenn die Sinnesorgane sich laufend daran gewöhnen, so verschlechtert sich die Luft sehr schnell
und kann bei gefüllten Klassenzimmern bald zu Konzentrationsstörungen, Leistungsabfall und sogar Kopfschmerzen und Reizungen der Atemwege führen. 

Auch mit regelmässigem Stosslüften ist die Garantie für gute Raumluft nicht gegeben, halten die Arbeitsmediziner fest. Daher sollte die Raumluft mit CO2-Messgeräten kontrolliert werden, und bei kritischen Resultaten sollten die nötigen Massnahmen in die Wege geleitet
werden. Gleiches gilt gemäss ifa auch für das Messen der Raumbeleuchtung, der Temperatur und der Luftfeuchtigkeit.

«Erhebliche Abweichungen von der Norm»

Klar ist, dass die Raumgrösse eines Klassenzimmers und die Grösse der Klasse von hoher Bedeutung sind – nicht nur in Bezug auf die Dichte der Interaktionen: Ist die Schülerzahl
pro Raumvolumen zu hoch und dadurch die Luft schlecht, lernen die Kinder weniger gut.
Zusammenfassend hält die Studie fest: «Die Arbeitsplätze der Lehrpersonen wiesen punkto Belüftung, Beleuchtung, Raumgrösse zum Teil erhebliche Abweichungen von der Norm auf.»

Nicht nur wegen der Lehrpersonen, auch wegen der Kinder müssten sich die Schulgemeinden
dringend um Verbesserungen bemühen. Kinder sollten in ihren Schulzimmern gesund bleiben und gut lernen können. Das Lernen wird aber nachweislich tangiert, wenn die Luft abgestanden ist bzw. einen zu hohen CO2-Gehalt aufweist.

Andere Bereiche, die die Studie beleuchtet, sind die vielen Zuständigkeiten, das Arbeiten in der Freizeit sowie die fast ständige Erreichbarkeit. Lehrpersonen äussern in der Berufszufriedenheitsstudie des LCH aus dem Jahr 2014, dass das Verhältnis zwischen Arbeitszeit und Erholungszeit problematisch sei. Das Gefühl, nie fertig zu sein mit der
Arbeit, gehört zu den Schwierigkeiten im Lehrberuf, mit denen sich Lehrerinnen und Lehrer immer wieder auseinandersetzen müssen. 

«Eine Lehrperson muss auch
für Eltern nicht rund um die
Uhr erreichbar sein.»

Um gesund zu bleiben, ist es gerade in diesem Beruf besonders wichtig, sich gut zu strukturieren und abzugrenzen. Die Bewertung einer Prüfung etwa muss nicht nach 22 Uhr per WhatsApp mit Eltern «diskutiert» werden. Es ergibt durchaus Sinn, dass eine Lehrperson
auch für Eltern nicht permanent per E-Mail, WhatsApp und Telefon erreichbar ist. Notfälle sind davon natürlich ausgenommen. 82 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer würden ihren Beruf wieder wählen – das hat die Berufszufriedenheitsstudie des LCH ergeben.

Diese Zufriedenheit ist hauptsächlich auf den «direkten Kontakt mit Menschen» und insbesondere die Unterrichtstätigkeit mit Kindern und Jugendlichen zurückzuführen. Ein wirklich guter Befund – für die Lehrerinnen und die Lehrer, aber auch für die Kinder.
Umso mehr sollten die Arbeitgeber, die Gemeinden und Kantone zu Räumlichkeiten beitragen, die das Lernen begünstigen und die Gesundheit nicht beeinträchtigen. Und
dafür sorgen, dass gesundheitserhaltende Verhältnisse geschaffen werden, damit viele Lehrerinnen und Lehrer ihren Beruf weiterhin engagiert und zum Wohle der Kinder
ausüben können. In der Schule geht es um die Zukunft unserer Kinder – umso wichtiger, dass sie von gesunden und motivierten Lehrpersonen unterrichtet werden.

Bild: fotolia


Zur Autorin:

Franziska Peterhans ist Zentralsekretärin des LCH und Mutter von drei erwachsenen Kindern. Weitere Informationen zur Studie,
Franziska Peterhans ist Zentralsekretärin des LCH und Mutter von drei erwachsenen Kindern. Weitere Informationen zur Studie, hier klicken.


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