Auf Safari im Schulbiotop - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Auf Safari im Schulbiotop

Lesedauer: 7 Minuten

Immer wieder passen sich Eltern und Lehrer veränderten Lebensbedingungen an. Dabei haben sie eine erstaunliche Artenvielfalt entwickelt – eine Übersicht typischer Spezies.


Die Eltern

Die Engagierte

Sie gibt sich solche Mühe. Die Engagierte sitzt mit sorgenvollem Gesicht beim Elternsprechtag, sie ist am Ende ihrer Kräfte. «Wir haben schon wieder eine Zwei in Englisch, dabei haben wir so viel gelernt!», klagt sie dem Lehrer verzweifelt ihr Leid. Die Engagierte ist meist hauptberuflich Mutter und sieht die Entwicklung des Kindes auch als Teil ihrer Selbstverwirklichung.

Und so paukt sie Formeln, Jahreszahlen und Vokabeln mit ihm und geht, wenn es sein muss, in einer Nachtschicht noch mal verbessernd über das Referat für den nächsten Tag. Entsprechend hart trifft sie eventueller schulischer Misserfolg. Bei all dem Engagement bleibt dann nur noch die Hoffnung, die schlechten Noten durch ADHS, Legasthenie, Dyskalkulie oder unerkannte Hochbegabung rechtfertigen zu können. Aber das Einzige, was Psychologen und Ärzte ihrem Kind attestieren können, sind durchschnittliche Faulheit und überdurchschnittliche Verwöhntheit.

Hat das Kind den Schulabschluss, muss die Engagierte ihr Burn-Out kurieren.

Bei der Planung des Sommerfestes übernimmt die Engagierte mehr Aufgaben als alle anderen, und bei der Aufführung der Theater-AG in der Turnhalle klatscht sie natürlich am lautesten. Hat das Kind endlich seinen Schulabschluss, muss die Engagierte erst mal ihre jahrelang ignorierten Burn-out-Erscheinungen auskurieren. Hat sie das hinter sich, engagiert sie sich ersatzweise in der Kirchengemeinde und wartet auf Enkel, um das gleiche Programm noch einmal und in optimierter Form abfahren zu können.

Lieblingslehrer: Der Idealist. Mit ihm tauscht sie beim Sommerfest Kuchenrezepte aus, und er ist auch der einzige Lehrer, den sie jederzeit auf dem Handy anrufen kann, wenn sie mit den Hausaufgaben des Kindes nicht weiterkommt.

Der Passive

Der Passive ist meist ein männlicher Elternteil, der entweder einen Business- oder einen Trainingsanzug trägt, denn er tritt bevorzugt am oberen und am unteren Rand der sozialen Schichten auf. Egal ob schick oder schludrig: Gemein haben Passive, dass sie sich für die Schulausbildung ihrer Kinder herzlich wenig interessieren. Elternsprechtage empfindet der Passive als Strafe, zu der ihn seine Frau alle paar Jahre verdonnert.

Der Passive weiss zwar grob, wo das Schulgebäude liegt, aber nicht, wie der mit drei Buchstaben abgekürzte Schulname ausgesprochen lautet. Und ob das Kind nun in der 9a oder in der 9b ist, ist seiner Meinung nach absurdes Detailwissen. Er hat zwar auch keinen Schimmer, welches Jahrhundert der Nachwuchs gerade in Geschichte behandelt, aber zu Hause klopfter dem über die Schulhefte gebeugten Kind hin und wieder auf die Schulter und sagt ermutigend: «Sehr gut, mach weiter so.» Macht das Kind in der Schule Probleme, reagiert er mit einem hilflos-überforderten Achselzucken und antwortet: «Was will man machen, das Kind ist nun einmal so.»

Sollte er versehentlich in die Planungssitzung des Schulsommerfestes geraten sein, sitzt er in der letzten Reihe, und kurz bevor die Aufgaben verteilt werden, huscht er, Entschuldigungen nuschelnd, auf die Toilette. Bis er wieder da ist, hat die Engagierte alle noch offenen Arbeiten übernommen. Für den Passiven ändert sich nach dem Schulabschluss des Kindes nicht viel. Dass der Nachwuchs nun an der Uni ist und irgendwas mit «…wissenschaften» studiert, registriert er allerdings insofern wohlwollend, als dass ihn nie wieder jemand zwingt, mit Lehrkräften darüber zu reden.

Lieblingslehrer: Och, dieser eine da, der Herr Dingsbums, der mit dem Pulli und den Haaren, der schien doch ganz in Ordnung zu sein.

Lehrertyp Nerd: Warum er Lehrer geworden ist? Keine Ahnung, Menschen interessieren ihn nicht, bis auf den Informatikkollegen. Unter seinesgleichen blüht der Nerd auf.
Lehrertyp Nerd: Warum er Lehrer geworden ist? Keine Ahnung, Menschen interessieren ihn nicht, bis auf den Informatikkollegen. Unter seinesgleichen blüht der Nerd auf.

Der Ankläger

Der Typ des Anklägers findet sich ebenfalls häufiger unter Vätern als unter Müttern. Beruflich ist er meist im mittleren oder oberen Management angesiedelt. Lehrer betrachtet er als untergebenes Personal, das von seinen Steuergeldern dafür bezahlt wird, die Bildung und Erziehung seiner Kinder zu übernehmen. Entsprechend chefig ist sein Ton beim Elternsprechtag. Das Kind stört oft im Unterricht? «Das ist Ihr Job, nicht meiner», herrscht er die Lehrerin an. Ist die Versetzung gefährdet und geht der Lehrer nicht auf seinen produktiven Vorschlag ein, die Ergebnisse ein bisschen zu schönen, damit das Projekt Schulkind doch noch zu einem positiven Jahresabschluss gebracht werden kann, wird er gern cholerisch.

Da es ihm blöderweise nicht zusteht, den Lehrer wegen Unfähigkeit zu feuern, bleibt ihm als Sanktionsmassnahme nur die Androhung eines «juristischen Nachspiels». Bei der Planung des Sommerfestes bringt er seinen Laptop mit und wirft per Beamer eine Präsentation an die Wand, die erklärt, wie die gleiche Arbeit von weniger Leuten effektiver erledigt werden kann. Hat das Kind trotz unfähigen Lehrpersonals sein Abitur geschafft, ist der Ankläger erleichtert. Ab jetzt wird alles besser: Der Sohn wird in des Vaters ehemalige Studentenverbindung geschleust, und ab da kümmern sich die Alten Herren und Geschäft spartner des Vaters darum, dass die Karriere läuft .

Lieblingslehrer: Der Idealist, weil der sich so herrlich leicht einschüchtern lässt und aus lauter Angst vor dem Ankläger extra eine teure Rechtsschutzversicherung abgeschlossen hat.

Die Ökotussi

Die Ökotussi ist einfach der bessere Mensch, und das zeigt sie auch gerne. Ihre wilde, rebellische Jugend, die Castor-Proteste und Sitzdemos hat sie hinter sich. Nun pflegt sie einen schicken, ökologisch und politisch korrekten Lifestyle, den sie mit grosser Arroganz zelebriert.

Ihr Kind hiess schon Emil, bevor der Name wieder hip wurde, es trägt die Haare lang und muss sie nur kämmen, wenn es sich danach fühlt. Nachdem ihr Kind zweimal eine Vier in Musik hatte, vermutete sie eine Wasserader unter seinem Sitzplatz. Seine Hausaufgaben macht Emil auf einem ergonomischen Kniestuhl hockend – aber nur, wenn er sich danach fühlt. Falls nicht, schreibt sie dem Lehrer eine erklärende Mail über freie Persönlichkeitsentfaltung. Bei der Schulfestplanung plädiert sie für Essensstände mit strikt regional produzierten Biolebensmitteln, und der Kaffee solle bitte «Fair Trade» sein.

Das stets moralisch korrekte Auftreten der Ökotussi führt dazu, dass sich alle anderen Eltern schlecht und schuldig fühlen, weil es sie glauben lässt, sie würden sich nicht richtig um ihre Kinder und die Welt, in der sie einmal leben werden, sorgen.

Lieblingslehrer: Natürlich ebenfalls der Idealist. Mit ihm diskutiert sie darüber, dass beim nächsten Schulausflug unbedingt ein Bus mit Hybridmotor gemietet werden sollte.

Lehrertyp Exzentriker: Er gilt als der Psychopath unter den Lehrern. Vor ihm haben Schüler wie Kollegen gleichermassen Angst.
Lehrertyp Exzentriker: Er gilt als der Psychopath unter den Lehrern. Vor ihm haben Schüler wie Kollegen gleichermassen Angst.

Die Lehrer

Die Oberstudienrätin

Es gab eine Zeit, die gute alte nämlich, in der sich die Oberstudienrätin noch so anreden lassen konnte. «Jawohl, Frau Oberstudienrätin», haben die Schüler da zu ihr gesagt. Die Oberstudienrätin lächelt müde, wenn sie daran zurückdenkt.

Müde ist sie sowieso oft, das ist die Resignation. Sie hat aufgegeben, den Schülern noch so etwas wie Respekt beibringen zu wollen, von allein lernen sie es ja eh nicht, und disziplinieren darf sie sie nicht mehr. Stattdessen soll sie in ihren Lateinstunden nun weniger Frontalunterricht und mehr Gruppenarbeit machen. Pädagogik wie im Kindergarten, denkt sie und teilt stumm die Übungsblätter aus. Während die Klasse lärmend diskutiert, rechnet sie im Kopf immer wieder nach, wie viele solcher Stunden sie noch über sich ergehen lassen muss bis zu ihrer Pensionierung.

Trifft die Oberstudienrätin auf Eltern, verliest sie monoton die Zensuren des Kindes und redet nur das Nötigste. Meistens legen die Eltern sowieso keinen Wert auf ihre Auskünfte – dass es gesellschaftlich anerkannt ist, in Latein schlechte Leistungen zu bringen, hat sie inzwischen begriffen. Im Lehrerzimmer sitzt sie meist allein, weil sie mit diesen jungen, engagierten Kollegen nichts anfangen kann. In ihrer Lunchbox liegen täglich eine Scheibe Graubrot mit Bierschinken und ein Apfel.

Der Idealist

Der Idealist hat nicht auf Lehramt studiert, weil danach ein sicherer Beamtenjob mit langen Ferien winkt. Nein, er möchte junge Menschen bilden, sie begleiten auf dem Weg zum Erwachsenwerden, ihnen ein Vorbild sein. Er möchte seinen Schülern ein ratgebender Freund sein. Was die natürlich merken und hinter seinem Rücken mit «Ey, der Typ is voll das Opfer» kommentieren. Statt «Ruhe!» zu brüllen, sagt er: «He Freunde, los, wir konzentrieren uns noch ein bisschen, und dann dürft ihr fünf Minuten früher in die Pause, ist das okay für euch?»

Der Idealist möchte ein ratgebender Freund für seine Schüler sein.

Als Referendar hat der Idealist mal die Gitarre in den Englischunterricht mitgenommen, um mit den Schülern deren Lieblingssongs zu singen. Nachdem diese sich Gangsta-Rap mit auf dem Index stehenden Texten wünschten, verwarf er diese Lehrmethode wieder. Um zumindest noch einigermassen zu den Schülern vordringen zu können, greifter manchmal zu Bestechung: Er bringt selbst gebackenen Kuchen mit oder lässt die Schüler einen Film gucken. Im Lehrerzimmer hat er eine Gesprächsgruppe mit der jungen Französischkollegin und dem Skateboard fahrenden Bio-Referendar gegründet, in der sie versuchen, die Gedanken der Kids von heute nachzuvollziehen.
Die Oberstudienrätin: Sie träumt von den guten alten Zeiten, als sie die Schüler noch disziplinieren durfte. Gruppenarbeit ist für sie Kindergartenpädagogik, der Elternsprechtag überflüssig. Wonach sie sich sehnt? Dem letzten Arbeitstag.
Die Oberstudienrätin: Sie träumt von den guten alten Zeiten, als sie die Schüler noch disziplinieren durfte. Gruppenarbeit ist für sie Kindergartenpädagogik, der Elternsprechtag überflüssig. Wonach sie sich sehnt? Dem letzten Arbeitstag.

Der Nerd

Pädagogik und Didaktik sind dem Nerd egal, ihn interessiert in erster Linie die Schönheit von mathematischen Formeln. Warum er überhaupt auf Lehramt studiert hat, weiss auch er selbst nicht mehr. Mit dem Rücken zur Klasse versinkt er in Rechenwegen über alle Tafelflügel hinweg und sagt dabei: «… multipliziert mit x hoch drei, minus a b Quadrat, geteilt durch …» Wenn er nach 45 Minuten die Lösung hat, dreht er sich um und sieht: 21 Schüler schlafen, zwei tippen auf ihrem Handy herum, eine Schülerin lackiert die Fingernägel. Nur einer starrt begeistert an die Tafel.

Bei Elternsprechtagen sitzt er ratlos da, weiss nicht, was er sagen soll. Oft meldet er sich krank, was nicht mal richtig gelogen ist, denn der Gedanke an solche zwischenmenschliche Begegnungen macht ihm wirklich Bauchschmerzen. Im Lehrerzimmer sitzt er kichernd mit den Pullunder tragenden Informatikkollegen zusammen – ist er unter seinesgleichen, fühlt der Nerd sich wohl.

Der Exzentriker

Er ist der Schrecken aller Schüler. Wenn er ihnen im Flur entgegenkommt, drücken sie sich schüchtern an der Wand entlang. Vor ihm fürchten sich die Schüler nicht wegen seiner Strenge oder Autorität, sondern weil sie den Verdacht haben, er könnte ein Psychopath sein. Er trägt auch im Sommer einen langen grünen Lodenmantel, weshalb er oftein bisschen streng riecht. Sein Haar ist wirr, der Blick irr, und er fährt ein seltsames rostiges Auto.

Im Unterricht hat der Exzentriker oft starke Stimmungsschwankungen, mal erklärt er sachlich etwas, dann wird er plötzlich laut und ungehalten. Er unterrichtet Chemie, die Schutzbrille vergisst er nach der Stunde oft abzunehmen. Kollegen meiden ihn, was er gar nicht merkt. Über den Exzentriker kursieren wildeste Gerüchte. Finn aus der 8b schwört, er habe ihn mal mit einer toten Katze in der Hand auf der Strasse gesehen. Zu Eltern von Schülern hat der Exzentriker keinen Kontakt – auch die kennen die Geschichten und möchten nicht mit ihm in einem Raum sein.

Bilder: fotolia.com

Dieser Beitrag ist in «Schule & Familie» erschienen. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des ZEIT-Verlags.